Keine Chats, keine Swipes – Wie eine App das klassische Kennenlernen zurückbringen will
Anstelle von Chats und Swipes setzt die App Timeleft auf reale Begegnungen. Wie genau funktioniert das? Ich habe die App ausprobiert und dabei überraschende Einblicke gewonnen.
Von Leon Regenscheit
In Zeiten von Social Media dominieren Profile, Bilder und Likes. Echte Begegnungen und Gespräche abseits des Bildschirms sind hingegen seltener geworden. Genau hier setzt Timeleft an. Die App bringt wöchentlich Fremde zu einem gemeinsamen Abendessen zusammen. Das Motto von Timeleft auf ihrer Webseite lautet: «Freier Fall in die sozialen Möglichkeiten ohne digitale Bildschirme. Öffnen Sie sich den Menschen um Sie herum ohne Erwartungen. Beginnen Sie ein Gespräch, entfachen Sie eine Verbindung. Gehen Sie mit Fremden essen.»
Was ist Timeleft?
Timeleft ist eine Plattform für soziale Begegnungen. Seit ihrem Start in Europa im Jahr 2020 (in der Schweiz seit 2023) organisiert die App jeden Mittwoch Dinner mit fünf Fremden in Restaurants auf der ganzen Welt. Das Ziel besteht darin, Menschen aus ihrer digitalen Blase zu holen und echte Gespräche zu fördern. Der Trick: Ein Algorithmus matchen die Teilnehmenden basierend auf einem Persönlichkeitsfragebogen. Fragen zu Interessen, Lebensstil, Musikgeschmack und Werten sollen dafür sorgen, dass die Gruppen gut zusammenpassen. Zusätzlich berücksichtigt die App logistische Faktoren wie Sprache, Ernährungspräferenzen oder Nationalität. So entsteht eine bunte Mischung aus Menschen, die sich sonst vielleicht nie begegnet wären.
So läuft ein Dinner ab
1. Anmeldung und Fragebogen: Nach dem Download der App muss ein Fragebogen ausgefüllt werden. Dieser dauert etwa sieben Minuten und deckt sowohl Persönlichkeitsmerkmale als auch Details wie Essensvorlieben ab. Der Fragebogen soll gewährleisten, dass die Gruppenmitglieder hinsichtlich Interessen und Persönlichkeit gut zusammenpassen. Für 15 Franken kann man sich anschliessend für ein Timeleft-Dinner anmelden. Dabei kann man eines von drei Daten wählen.
2. Gruppenmitglieder und Infos: Am Tag davor werden erste Details über die anderen Teilnehmer sichtbar. Beispielsweise Berufsfeld, Sternzeichen oder Hobbys. Bei der Restaurantauswahl kann man zwischen tiefem, mittlerem und höherem Budget wählen. Am Morgen des Abendessens wird der Standort des Restaurants mitgeteilt.
3. Das Dinner: Um 19 Uhr trifft die Gruppe im Restaurant ein. Timeleft liefert Eisbrecher-Fragen für den Fall, dass die Konversation stockt, was laut Nutzern aber selten der Fall ist. Nach dem Essen besteht die Möglichkeit, gemeinsam weiterzuziehen, etwa in eine Bar.
4. Feedback und Weiterführung: Nach dem Dinner gibt man über die App Feedback. Wer sich gut verstanden hat, kann Kontakte austauschen.
5. Wohlfühlfaktor: Die App legt viel Wert auf Inklusion und Akzeptanz. Wer schlechte Erfahrungen macht, kann dies direkt im Anschluss an das Essen über die App melden.
Was macht Timeleft besonders?
Timeleft unterscheidet sich von anderen Plattformen durch seinen Fokus auf Offline-Interaktionen. „Die echte Distanz zwischen dir und Fremden ist ein warmes Hallo“, heisst es auf der Website. Laut Timeleft haben 70 Prozent der Nutzer: innen nach einem gemeinsamen Essen mindestens eine neue Bekanntschaft gemacht, die sie weiter pflegen. Angesprochen werden vor allem Menschen, die sich in einer neuen Umgebung zurechtfinden möchten oder gezielt nach Möglichkeiten suchen, ihr soziales Netzwerk zu erweitern.

Laut Angaben der Plattform ist Timeleft in über 300 Städten weltweit aktiv. Auf der Karte sind die Städte gekennzeichnet, in denen die App am meisten genutzt wird. (Grafik: Selbst erstellt, Quelle: Timeleft.com)
Herausforderungen
Trotz des innovativen Konzepts gibt es auch Stolpersteine. In meinem Fall war die Gruppe beispielsweise nicht optimal aufeinander abgestimmt: Drei Personen haben geredet, während die anderen drei eher zurückhaltend waren. Das ist ein Beweis dafür, dass die Einordnung mittels Algorithmus nicht tadellos funktioniert. Ein weiterer Punkt ist der Kostenfaktor. Eine Teilnahme kostet je nach Stadt zwischen 15 und 30 Franken, hinzu kommt der Preis für das Abendessen. Viele Nutzer berichten jedoch, dass ihnen das Erlebnis mit neuen Menschen diesen Preis wert ist.
Neue Bekanntschaften für Expats
Nachdem ich selbst an einem Timeleft-Dinner teilgenommen habe, kann ich sagen: Das Konzept kann funktionieren, wenn man die nötige Offenheit für Gespräche mit Fremden mitbringt. Mit einem der Teilnehmenden stehe ich zwei Monate nach dem Abendessen noch immer in Kontakt. Spannend war auch, dass ausser mir ausschliesslich Expats, also Auswanderer, das Abendessen besucht haben. Einige von ihnen erzählten mir, dass Timeleft eine ausgezeichnete Möglichkeit biete, um in einer neuen Stadt Anschluss zu finden. In meinem kommenden Video nehme ich euch mit zu meinem eigenen Timeleft-Dinner in Zürich. Wie ist es wirklich, mit fünf Unbekannten zu essen? Kleiner Spoiler: Ich konnte tatsächlich eine echte neue Freundschaft schliessen.
Keine Garantie für neue Freunde
Auch wenn die App eine optimale Plattform bietet, um Gleichgesinnte kennenzulernen, kann sie jedoch nicht garantieren, dass daraus Freundschaften entstehen. Das bestätigt auch Sabrina. Sie war wie Massimiliano Teil meines Timeleft-Dinners und hat bereits vier Abendessen besucht. Auch sie ist der Meinung, dass Timeleft die Kontaktaufnahme zu neuen Leuten vereinfacht. Ob daraus eine Freundschaft entsteht, hängt aber letztlich stark vom eigenen Engagement ab. Das gesamte Interview mit Sabrina im Podcast-Format findet ihr hier.

Studiert Kommunikation und Medien mit der Vertiefung Journalismus an der ZHAW. Spezielles Interesse relevante soziale Themen.