Kultur / Gesellschaft

Die “Fridays for Future” sind Vergangenheit – der Wandel der Schweizer Klimabewegung

Laute Parolen, direkte Forderungen – die Klimajugend ist wohl allen ein Begriff. Vor gut fünf Jahren füllte sie noch den ganzen Bundesplatz. Was ist aus der Bewegung von damals geworden? Zwei Aktivistinnen berichten – von früher und von heute.

Autorin: Rahel Köppel
Titelbild: Vor gut fünf Jahren ein noch alltägliches Bild – die Bahnhofstrasse in Zürich blockiert von der Klimajugend. Solch grosse Klima-Aktionen sind heutzutage eine Seltenheit geworden. (Bildquelle: Rahel Köppel)

Aussergewöhnlich hohe Temperaturen, Überschwemmungen und schmelzende Gletscher – die Klimaerwärmung beschäftigt stetig. Trotzdem hat der Klimaschutz heutzutage nicht mehr dieselbe Präsenz wie noch vor fünf Jahren. Gingen einst jeden Monat junge Menschen auf die Strasse, passiert dies heutzutage noch maximal jährlich.

Angefangen hat die Klimabewegung in der Schweiz wie an vielen anderen Orten damit, dass die schwedische Aktivistin Greta Thunberg fürs Klima die Schule gestreikt hat. Zum ersten Mal am 20. August 2018. Ihre bekannte Frage «How dare you?», die sie an Weltpolitiker:innen richtete, wurde zu einem Leitsatz der globalen Klimabewegung. Am 14. Dezember 2018 legte die Schweiz nach. Rund 300 Teilnehmer:innen gingen in Zürich für den Klimaschutz auf die Strasse. In den Folgemonaten wurden es schweizweit pro Stadt mehrere Tausend. Die Bewegung erregte viel Aufmerksamkeit und war in den Medien omnipräsent.

Was wurde eigentlich aus der Stimme einer ganzen Generation?

Greta Thunberg war Auslöserin der globalen Klimabewegung. Sie betreibt mittlerweile längst nicht mehr nur Klimapolitik – sie setzt sich aktivistisch für verschiedenste politische Themen ein.

Als Greta Thunberg im August 2018 mit einem handbeschrifteten Pappschild vor dem schwedischen Parlament sass, nahm kaum jemand Notiz von der damals 15-jährigen Schülerin. Heute gilt sie als eines der bekanntesten Gesichter, wenn nicht als bekanntestes Gesicht der globalen Klimabewegung. Mittlerweile setzt sich die 22-jährige aber auch anderweitig ein, und auch ihr Ton hat sich seit 2018 verändert – er scheint differenzierter und politischer, jedoch nicht weniger drängend. Thunberg tritt heute seltener gross auf, meidet überinszenierte Medienformate und fokussiert sich stärker auf strategische Allianzen mit Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Klimaorganisationen. Ein Beispiel dafür ist die Zusammenarbeit mit der Gruppe “Scientists for Future”, die sich 2019 gegründet hat, um die Forderungen der Fridays-for-Future-Bewegung wissenschaftlich zu untermauern, oder mit grossen Umweltorganisationen wie “Greenpeace”.

Unverständnis für Untätigkeit
Das Verlangen, etwas in der Welt zu verändern, fing bei Thunberg bereits in der Kindheit an. Schon damals beschäftige sie sich intensiv mit dem Klimawandel. Sie hatte Unverständnis gegenüber der Untätigkeit der Erwachsenen und lange Zeit ging es ihr deswegen gesundheitlich nicht gut. Sie hat beispielsweise nicht mehr viel gegessen, wie in einem Artikel von Nau beschrieben. Sie wurde mit Asperger-Syndrom, Depressionen und selektivem Mutismus diagnostiziert. Mit ihrem Aktivismus fand sie jedoch schliesslich die Möglichkeit, ihren Unmut auszudrücken und zu handeln. Ihre wöchentlichen «Fridays for Future» inspirierten Millionen junge Menschen, auf die Strasse zu gehen. Innerhalb eines Jahres errang Greta Thunberg globale Bekanntheit.

In ihren jüngsten Aktionen scheint es ihr weniger um Aufmerksamkeit zu gehen, sondern um Wirkung. Im Oktober 2023 beteiligte sie sich an Protesten gegen Öl- und Gasprojekte in Norwegen und stellte sich gemeinsam mit indigenen Aktivist:innen der Polizei entgegen, wie Swissinfo berichtet. Auch bei Veranstaltungen zum Thema Klimagerechtigkeit macht sie deutlich, dass es nicht nur um CO₂-Reduktion, sondern auch um soziale Verantwortung und globale Gerechtigkeit gehen müsse. Der Kampf gegen die Klimakrise ist laut Thunberg auch ein Kampf gegen Ausbeutung, Rassismus und neokoloniale Wirtschaftsstrukturen. Dies wird ersichtlich in einem Bericht der Welt. Ebenfalls sprach sich Thunberg in letzter Zeit vermehrt zum Krieg im Nahen Osten aus, wobei sie klar Partei ergreift für Palästina. Sie postete beispielsweise auf X und Instagram Anfang 2024 das Zitat: «Wir können während eines Völkermords nicht schweigen.» Sie forderte, dass Israel und seine Unterstützer für ihre Handlungen im Krieg im nahen Ostern zur Rechenschaft gezogen werden müssen.

«Ein kleiner Teil einer grossen Bewegung»
Thunberg nutzt ihre Reichweite gezielt, etwa über ihre 14 Millionen Follower auf Instagram. Ihre Beiträge wirken kontrollierter und reflektierter als noch vor einigen Jahren. Interviews gibt sie selten, und wenn, dann meist unter der Bedingung, dass es nicht um ihre Person, sondern um Inhalte geht.  An der UN-Klimakonferenz wird sie von SRF in einem Bericht zitiert: «Ich selbst bin nur eine Aktivistin, ein kleiner Teil einer sehr großen Bewegung». Sie möchte nicht als alleinige Heldin wahrgenommen werden, sondern als Teil einer Bewegung, die grösser ist als sie selbst.

Die 27-jährige Patricia Kudrnac war Teil der Bewegung. Sie hat damals die Rede von Greta Thunberg gehört. «Und ich hatte Gänsehaut», erzählt sie. «Als Naturliebhaberin dachte ich mir: Endlich passiert mal was!» Als sie dann von der Klimabewegung in der Schweiz hörte, überlegte sie nicht lange und begann, diese mitzugestalten. Ihren ersten Streik erlebte sie Anfang 2019 – sie hat ihn mitorganisiert und für alle Suppe gekocht. Anfangs war sie in der Regionalgruppe Zürich aktiv, anschliessend setzte sie sich dann national für den Klimaschutz ein. Beruflich war sie als Betreuerin tätig. Eine anstrengende Kombination, wie sie erzählt. «Wir hatten meist am Abend Sitzungen, nachdem wir den ganzen Tag bei der Arbeit oder in der Schule waren», sagt Kudrnac. Als dann in Bern ein Raum für die Bewegung frei wurde, zog die damals 21-jährige vom Kanton Thurgau in die Stadt.

Erste Aufregung war abgeflacht

Sich vor 2020 beim “Klimastreik Schweiz” zu beteiligen war keine Nebenbeschäftigung. Für Patricia Kudrnac wurde Anfang 2020 klar, dass sie so nicht mehr weiter machen kann. «Ich war ausgebrannt», sagt sie. Die erste Aufregung der neuen Bewegung sei abgeflacht und es wurde klar, dass die Bewegung in dieser Form nicht nachhaltig war. «Wir wollten 100 Projekte gleichzeitig anpacken, was schlicht und einfach nicht möglich war.» Deshalb entschied sich Kudrnac, als wegen Corona die Möglichkeit der Streiks zwischenzeitlich nicht mehr da war, den “Klimastreik Schweiz” hinter sich zu lassen.

«Ich war ausgebrannt.»

Bildquelle: Patricia Kudrnac

Patricia Kudrnac, ehemals Mitglied vom “Klimastreik Schweiz”.

Sie möchte mittlerweile nicht mehr Teil davon sein. «Der Vibe hat sich geändert», findet sie. Der frühere Aktivismus habe sich laut Kudrnac «hoffnungsvoller» angefühlt.  «Wir waren eher darauf aus, eine Veränderung zu bewirken. Progressiv zu arbeiten, demokratisch zu sein und wo möglich mit Politik, Medien und NGOs zusammenzuarbeiten.» Die Veränderung der Bewegung müsse aber nicht schlecht sein. «Die aktuelle Strategie spricht einfach eine andere Zielgruppe an.» Vor allem auf den sozialen Medien ist ihr dies aufgefallen.

“Wir wurden kritischer”

Die 18-jährige Ella Frei ist seit 2020 Teil der Bewegung und bestätigt, dass der “Klimastreik Schweiz” seit seinen Anfängen eine Veränderung durchgemacht hat. «Wir sind kritischer geworden», berichtet sie. Es habe sich herauskristallisiert, dass sich in der Politik durch die Klimastreiks nicht viel geändert hat. Deshalb hat sich die Bewegung um 2021 von institutioneller Politik, wie sie sie anfangs betrieben hat, entfernt. Dass diese Veränderung notwendig war, zeigte auch die Coronakrise. «Der Klima-Aktivismus wurde durch die Pandemie ziemlich pausiert», so Frei. «Wir haben gemerkt, dass die Politik bei Corona viel schneller und effizienter handelt als in der Klimakrise.» Auch habe sich gezeigt, dass die damals gewinnenden grünen Parteien ihre Strategien nicht durchgezogen haben. Deswegen arbeitet die Bewegung nun intersektional, bezieht sich also auf verschiedene zusammenhängende Faktoren.

  • Patricia Kudrnac hat einen Grossteil ihrer Freizeit in den "Klimastreik Schweiz" investiert - bis es ihr irgendwann zu viel wurde.
    (Bildquelle: Patricia Kudrnac)

Die Leute erreichen

Unter anderem mit dieser Veränderung begründet Ella Frei auch die schwindende Aufmerksamkeit für die Bewegung. «Unser neuer Ansatz erfordert ein tieferes Verständnis der Klimakrise.» Das sei aber nicht nur negativ. «Wir sprechen jetzt vielleicht weniger Leute an, dafür solche, die es wirklich verstehen wollen.» Es gehe nicht nur darum, wie viele Klicks ein Artikel über die Klimabewegung erhalte, sondern was die Leute von den kommunizierten Inhalten mitnehmen. «Die Menschen wissen jetzt, dass es die Klimakrise gibt und dass sie ein Problem ist», sagt Ella Frei zur aktuellen Medienarbeit. «Nun wollen wir ihnen zeigen, dass sie nicht nur herzige Eisbärchen betrifft.»

Sie sind weniger, dafür umso willensstärker

Am 11. April war es nach langer Zeit mal wieder so weit: Die Menschen gingen auf die Strasse, um für den Klimaschutz zu demonstrieren. Am globalen Klimastreik kamen tausende Leute zusammen. Es waren viele. Trotzdem kommen die Zahlen nicht auf die Höhe, die sie vor gut fünf Jahren noch hatten.
Wie geht es den Demonstrant:innen damit?

Ein Audiobeitrag von Rahel Köppel

«Die Medien sollen mal anständig die Wahrheit sagen.»

Bildquelle: Rahel Köppel

Moritz Bischof

«Die Schweiz braucht mal eine Naturkatastrophe.»

Bildquelle: Rahel Köppel

Bea Camera

Sind Sie bei Demonstrationen für den Klimaschutz jeweils dabei?

Auch aus diesem Grund organisiert die Bewegung weniger Demonstrationen. «Für unseren neuen Ansatz bringen Demos nicht sehr viel», so Frei. Ausserdem sei die Organisation für die Beteiligten sehr aufwändig, wie auch Kudrnac bereits erwähnte. «Wir wollen gesünderen Aktivismus betreiben.» Die Bewegung setzt heutzutage mehr auf persönlichen Austausch. «Wir haben zum Beispiel ab und zu Infostände an Märkten und organisieren Info-Anlässe.»

Wie Patricia Kudrnac erlebt auch Frei, dass viele die Bewegung verlassen und sich eine Nische im Klimagerechtigkeitsaktivismus oder eine Arbeit beziehungsweise ein Studium mit Bezug zu Nachhaltigkeit und Gesellschaftswandel suchen. Das sei aber nichts Negatives. «Die Bewegung ist Teil von etwas Grossem», sagt Frei. Es sei ein fortlaufender Prozess. «Wir können nicht sagen, ob es uns nächstes Jahr noch gibt», sagt sie. Und das sei in Ordnung. Dies bestätigt auch Patricia Kudrnac. «Ohne diese Bewegung wären viele von uns nicht dort aktiv tätig, wo sie es jetzt sind», sagt sie. «Der ‚Klimastreik Schweiz‘ hat etwas ausgelöst. Bei uns, aber auch bei der Bevölkerung.»