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Meister der Rätsel: Ein Blick hinter ein aussergewöhnliches Hobby

Bild: Selin Sarikaya

Dunkelheit. Nur das flackernde Licht einer Lichterkette tanzt über tapezierte Wände. Irgendwo donnert es. Plötzlich wird es heller im Raum. Keine Minute vergeht, da ruft eine Stimme: „Leute, ich hab was!“. Mitten im Setting der 80er-Jahre-Kleinstadt Hawkins, umgeben von VHS-Kassetten, Walkie-Talkies und düsteren Geheimnissen, kämpft sich eine Gruppe durch die Schatten einer anderen Dimension. Was für andere wie ein einfaches Spiel wirkt, ist für sie ein ernstes Hobby: Die ER-Champions von 2020 sind zurück im Escape Room und stellen sich heute einem neuen Raum. Es geht um Atmosphäre, Story und um Sekunden.

Autorin: Selin Sarikaya
Bildbeschreibung: Der Countdown läuft, sobald man den Raum betritt.

Was um Himmels Willen ist eigentlich ein Escape Room?

Stell dir vor, du bist mit deinen Freund:innen in einem Raum eingeschlossen. Um euch herum: merkwürdige Objekte, Schlösser mit Zahlencodes, Hinweise in Bildern, unter Tischen oder hinter Geheimtüren. Und irgendwo in diesem Chaos liegt die Lösung – aber ihr habt nur 60 Minuten, um sie zu finden. Willkommen in der Welt der Escape Rooms!

Escape Rooms sind wie ein Live-Krimi, kombiniert mit einem Abenteuerfilm und einem Denkspiel, nur, dass man nicht Zuschauer:in ist, sondern mittendrin. Im Team wird gemeinsam geknobelt, nach versteckten Hinweisen gesucht, eins und eins zusammengesetzt und Schritt für Schritt durch eine Geschichte gearbeitet. Das Ziel? Rauskommen. Oder eine Bombe entschärfen. Oder eben die Stadt vor einer bösen Kreatur retten. So wie es heute der Fall ist.

Ein Escape-Room besteht meistens aus mehreren Räumen. Wenn in einem Raum alle Rästel gelöst sind, geht es in den nächsten, bis man schliesslich draussen ist. Es muss immer in Teams gespielt werden. Mindestens zwei Leute müssen es sein. Die Obergrenze variiert je nach Grösse des Raums. Klassische Escape-Rooms haben ein Zeitlimit von 60 Minuten, aber auch dieses kann je nach Anbieter:in höher sein.

Die geheimen Strippenzieher: Gamemaster im Hintergrund

Nun stellt sich die Frage, was passiert, wenn man es nicht rechtzeitig aus dem Raum schafft. Bleibt man dann eingesperrt? Natürlich nicht. Zwar ist es das Ziel, selbstständig zu entkommen, doch sogenannte GameMaster stehen jederzeit bereit zur Hilfe. Sie sehen und hören alles. Über ihre Monitore verfolgen sie das Spiel während der ganzen Zeit und greifen ein, wenn Hilfe benötigt wird. In vielen Räumen gibt es auch automatische Hilfesysteme. Wenn diese aber mal nicht weiterhelfen, schaltet sich der Spielleiter über das Mikrofon ein. Übrigens: Der GameMaster ist auch die Person, die zu Beginn die Regeln erklärt – und damit der erste Kontakt zur Welt der Escape Rooms ist.

Murphys Law – Wer sind die Profis?

Murphy’s Law, so nennt sich die fünfköpfige Gruppe aus Winterthur, die 2020 die ER-Champ gewonnen hat.
Murphy’s Law ist eine Lebensweisheit über menschliches Versagen in komplexen System. Sie besagt: „Alles, was schiefgehen kann, wird schiefgehen.“ Ironischerweise hat diese Gruppe alles, was man richtig machen kann, richtig gemacht.

Bereits bei ihrem alle ersten Raum vor fünf Jahren knackten sie direkt den Raumrekord – eine Seltenheit, wenn man bedenkt, dass die meisten dafür jahrelange Erfahrung benötigen.

Voller Motivation, aber mit nur zwei gespielten Räumen in der Tasche, entschloss sich das Team 2020 zur Teilnahme an der Escape-Room-Meisterschaft und gewann auch dort auf Anhieb. Ihr Erfolgsrezept: „Klare Rollenverteilung. Ein Mitglied bringt handwerkliches Geschick mit, ein anderes punktet mit logischem Denken, ein drittes behält den Überblick aus der Distanz.“ Diese Mischung scheint aufzugehen.

ER-Champ 2025 – Wettbewerb der Escape-Profis

Die Escape-Room-Championship (ER-Champ) findet seit 2017 jährlich statt. Sie ist ein internationaler Wettbewerb, bei dem Teams aus aller Welt teilnehmen können. Dabei geht es nicht um Glück, sondern um Teamwork, Logik, Kreativität und starke Nerven. Teilnehmen kann grundsätzlich jeder – die einzige Voraussetzung ist die vorherige Online-Registrierung des Teams. Ein Team muss aus mindestens zwei und höchstens vier Personen bestehen. Der Wettbewerb gliedert sich in mehrere Phasen. Zunächst gibt es ein optionalen Stress Test, der zur Vorbereitung dient. Darauf folgen die Qualifikationsspiele, bei denen online verschiedene Escape-Rätsel gelöst werden. Die erfolgreichsten Teams qualifizieren sich dann für das grosse Finale, dass jedes Jahr in einem anderen Land ausgetragen wird. Vor Ort treten die Finalteams gegeneinander an und versuchen den Raum in möglichst kurzer Zeit und mit so wenigen Hinweisen wie möglich zu lösen. Das Team, das dies am schnellsten schafft und dabei die wenigsten Tipps benötigt, gewinnt. Jeder genommene Hinweis wird dabei mit fünf Strafminuten auf die Gesamtzeit angerechnet.

Zukunft der Escape-Rooms in der Schweiz

Escape Rooms sind längst mehr als nur ein Freizeittrend. In der Schweiz hat sich in den letzten Jahren eine lebendige Escape-Room-Szene entwickelt. Die Zahl der Escpae-Rooms in der Schweiz wächst stetig. Von Basel bis Lugano, von Zürich bis Bern und selbst in kleinen Gemeinden, überall entstehen kreative Spielräume mit unterschiedlichsten Themen.

Die Szene wächst, aber sie verändert sich auch. Lange dominierten sogenannte klassische Escape Rooms das Bild: Räume, in denen Teams innerhalb von 60 Minuten eine Reihe von Logikrätseln, Schlössern, Codes und versteckten Hinweisen knacken mussten, um zu entkommen. Der Fokus lag auf Denksport und Koordination, oft in eher schlicht eingerichteten Settings.

Doch heute geht der Trend in eine neue Richtung. Immer mehr Anbieter setzen auf immersives Storytelling und technisch raffinierte Räume. Statt reiner Rätseljagd erwartet die Spieler:innen nun ein durchdachtes Szenario mit Licht, Ton, Spezialeffekten und einem klaren dramaturgischen Bogen. Escape Rooms werden zu interaktiven Erlebnissen, die an Filmsets oder Theaterstücke erinnern.

Mehr als nur ein Spiel: Die Psychologie hinter Escape Rooms

Escape Rooms sprechen nicht nur unsere Lust auf Rätsel an, sie wirken auch tief in unsere Psyche hinein. Wer gemeinsam einen Raum bezwingt, erlebt nicht nur Spannung, sondern auch eine ganze Palette emotionaler und sozialer Effekte. Genau diese emotionalen Höhenflüge machen Escape Rooms so besonders – und genau das kann süchtig machen.

Das viele Gruppen nach einem Escape-Raum direkt in den nächsten springen wollen, ist keine Seltenheit. Denn wer einmal den Rausch gespürt hat, in letzter Sekunde das letzte Schloss zu knacken, der fragt sich oft nur eins: Wann geht die nächste Tür auf? Zentral ist dabei das Erfolgserlebnis: Das Lösen kniffliger Aufgaben aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn, das sorgt für einen Dopamin-Kick und erzeugt schliesslich Gefühle wie Zufriedenheit und Stolz. Die Suche nach Neuem ist ebenfalls ein kräftiger Anreiz. Es gibt in jedem Raum neue Herausforderungen und Themen. Dies ermöglicht den Spieler:innen, jedes Mal ein komplett neues Erlebnis zu erleben. Die Diversität behält das Interesse und ermöglicht es gleichzeitig, sich selbst zu verwirklichen und seine Fähigkeiten zu testen.

Doch Escape Rooms fordern auch heraus. Wenn die Zeit drängt oder ein Rätsel besonders hartnäckig ist, entsteht Stress. Allerdings ist dies oft ein positiver Stress, sogenannter Eustress, der die Konzentration steigert und das Team zusätzlich zusammenschweisst.

Diese Mischung aus Herausforderung, Konzentration und emotionaler Belohnung führt viele Spieler:innen in einen psychologischen Zustand, den der ungarische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi als Flow beschreibt: ein völliges Aufgehen in einer Tätigkeit. Die Welt rundherum tritt in den Hintergrund, die Zeit scheint stillzustehen, und man arbeitet fokussiert, effizient und fast mühelos.

Escape Rooms bieten ideale Bedingungen für genau diesen Zustand: ein klares Ziel, eine zeitlich begrenzte, intensive Herausforderung und ein Setting, das alle Ablenkungen aussen vor lässt. Selbst bei der Arbeit erleben viele Menschen diesen Flow-Zustand selten. In einem gut gestalteten Escape Room ist er hingegen fast garantiert. Das macht sie nicht nur spannend, sondern für manche sogar therapeutisch wertvoll. Besonders bemerkenswert: Man erlebt den Flow hier nicht allein, sondern gemeinsam im Team. Das ist ein seltenes soziales Erlebnis mit nachhaltiger Wirkung.

Dieses Erfolgserlebnis motiviert nicht nur während des Spiels, sondern kann auch langfristig die Problemlösekompetenz im Alltag stärken. Viele erfahrene Spieler:innen berichten laut dem Blog Exit the room, dass sie durch Escape Rooms gelernt haben, konzentrierter, lösungsorientierter und gelassener an schwierige Situationen heranzugehen.

Denn gerade das gemeinsame Erleben ist ein Schlüsselfaktor: Ob Sieg oder Niederlage, gemeinsam gemeisterte Herausforderungen fördern Teamgeist, Vertrauen und soziale Bindung. Eine Studie, die auf dem Escape-Room-Blog Exit the Room veröffentlicht wurde, zeigt: Teams, die auf gute Kommunikation und aktives Zuhören setzen, sind erfolgreicher und wachsen durch das Spiel oft auch als Gruppe enger zusammen. Die Escape-Gruppe Murphys Law ist dafür ein perfektes Vorzeigebeispiel. 

Zusammengefasst: Escape Rooms sind mehr als Freizeitspass. Sie sind ein Training für Gehirn und Gemeinschaft, mit positiven Auswirkungen, die weit über die 60 Minuten Spielzeit hinausreichen.