Internationale Adoption: Zweite Chance oder Missbrauchspotenzial?
Kinderhandel, gefälschte Dokumente und den Müttern entrissene Kinder. Das passierte bei Adoptionen aus dem Ausland in die Schweiz. Um dies künftig zu verhindern, sprach sich Bundesrat Beat Jans Ende Januar für ein Verbot von internationaler Adoption aus. Die Meinungen bei Betroffenen sind gespalten.
Autorin: Nathalie Reichlin
Titelbild: In der Gesellschaft werden Adoptivfamilien momentan kritisch beäugt. (Bild: Nathalie Reichlin)
Draussen ziehen Wiesen mit blühenden Blumen vorbei. Doch die Stimmung im Familienauto liegt im starken Kontrast zur sonnigen Umgebung. «Wir waren schockiert über das Verbot, nie hätten wir damit gerechnet», sagt Daniel Schwenter. Mit im Auto sind seine Frau Karin Zumbühl und die beiden Adoptivsöhne im Primarschulalter. Die Eltern haben die zwei Kinder aus Thailand adoptiert. Dass der Bundesrat nun Familien wie ihre verbieten will, darüber sind die Eltern empört.
Doch das Kommuniqué des Bundesrats vom Januar ist eindeutig: Ab Ende 2026 sollen internationale Adoptionen in der Schweiz nicht mehr möglich sein. Grund dafür sind mehrere Tausend Fälle von Kinderhandel durch internationale Adoptionen, insbesondere vor der Jahrhundertwende. Solche Ereignisse dürften sich nicht wiederholen, schreibt der Bundesrat. Von einer unabhängigen Expert:innen-Gruppe liess der Bund deshalb in verschiedenen Szenarien den Umgang der Schweiz mit Auslandsadoptionen prüfen. Das Ergebnis des Berichts: Nur ein Verbot kann Missstände komplett ausschliessen. Verschärfte Reglementierungen würden nicht ausreichen, um missbräuchliche Adoptionen verhindern zu können. Ausserdem wären Verschärfungen mit «immens hohem zeitlichen und finanziellem Aufwand verbunden.» Das sei unverhältnismässig bei der geringen Zahl an Auslandsadoptionen – im Jahr 2023 waren es noch 19 Fälle.
Quelle: Bundesamt für Statistik
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«Internationale Adoptionen sind wichtig, um vielen Kindern einen Platz in einer Familie zu ermöglichen.»
– Daniel Schwenter,
Adoptivvater zweier Söhne aus Thailand
Adoption kann eine zweite Chance sein
«Unser Sohn hätte es mit seiner schweren Epilepsie in Thailand vermutlich schwierig gehabt», sagt Daniel Schwenter. Er glaubt, dass für seine Kinder die Adoption eine gute Lösung war. Denn in Thailand konnte für die beiden Buben keine Familie gefunden werden. Dass Herkunftsländer dies überprüfen müssen, bevor ein Kind ins Ausland platziert werden darf, ist eine der Bedingungen des Haager Adoptionsübereinkommens. Dieses soll unter anderem sicherstellen, dass die Auslandsadoption als letzte Möglichkeit eintritt und nur dann, wenn dies im bestmöglichen Interesse des Kindes ist. Thailand ist seit 2004 Vertragsstaat, in der Schweiz trat das Übereinkommen 2003 in Kraft.
«Internationale Adoptionen sind wichtig, um vielen Kindern einen Platz in einer Familie zu ermöglichen», sagt Daniel Schwenter. Es liege in der humanitären Verpflichtung der Schweiz, bedürftigen Kindern das Aufwachsen in einer Familie zu ermöglichen. Die Adoptiveltern selbst warteten fünf Jahre auf ihren älteren Sohn. Während des Adoptionsprozesses mussten sie sich regelrecht röntgen lassen – auf die finanzielle Situation, die Gesundheit und auf ihre erzieherischen Fähigkeiten. Deshalb denkt Daniel Schwenter, dass Adoptionsverfahren in der Schweiz ausreichend reglementiert sind. Auch Mai Gagliardi aus Locarno ist gegen das Verbot des Bundesrats. Er wurde als Kind von einer Schweizer Familie aus Thailand adoptiert. Im Videobeitrag erzählen er und Daniel Schwenter mehr zu ihren Perspektiven.
«Von den Behörden wurde mir anfangs immer wieder gesagt, ich sei ein Einzelfall.»
– Sarah Ramani Ineichen,
Betroffene von Kinderhandel durch Adoption
Im Vordergrund steht der Schutz der Kinder
Anders sieht dies Sarah Ramani Ineichen. «Trotz strikter Massnahmen gibt es auch heute noch immer Hinweise auf missbräuchliche Adoptionen», sagt die 42-Jährige. Sie war Teil der unabhängigen Expert:innen-Gruppe, auf deren Bericht sich der Bundesrat bei seinem Entscheid stützt. Als Kind wurde sie selbst Opfer von Kinderhandel durch Adoption aus Sri Lanka in die Schweiz. Davon wusste sie lange nichts. Erst als sie Jahre später in Sri Lanka nach ihrer leiblichen Familie suchte, erfuhr sie: Die Frau, die ihre Geburtsurkunde als ihre Mutter unterschrieb und sie so offiziell zur Adoption freigab, war nicht mit ihr verwandt.
«Von den Behörden wurde mir anfangs immer wieder gesagt, ich sei ein Einzelfall», sagt Sarah Ramani Ineichen. Dass das nicht stimmte, stellte sich bei der Aufarbeitung der Fälle aus Sri Lanka der Siebziger- und Neunzigerjahre schrittweise heraus, zusammengefasst in einem Bericht der Zürcher Hochschulen für angewandte Wissenschaften (ZHAW). Sarah Ramani Ineichen sagt dazu: «Keine einzige der untersuchten Adoptionen verlief rechtmässig. Eine legale Adoption wäre also die Ausnahme.» Für die zweifache Mutter und Hebamme steht der Schutz der Kinder bei internationalen Adoptionen an erster Stelle – und dieser könne nur durch ein Verbot gewährleistet werden. Im Audio erzählt Sarah Ramani Ineichen mehr dazu.
Nationalratskommission will kein Verbot
Der Bundesratsentscheid für ein Verbot hat indes weit über die betroffenen Adoptivkinder- und Eltern hinaus Wellen geschlagen. Auch in der Politik wird rege diskutiert. Die FDP hat bereits Mitte Februar gemäss einer Medienmitteilungeine Motion eingereicht. Die Partei schrieb dazu, ein Verbot würde tausenden von Kindern die Chance auf ein besseres Leben und eine liebevolle Familie in der Schweiz verbauen. Auch die zuständige Nationalratskommission stellte sich im April gegen das Verbot des Bundesrats. Die Kommission möchte stattdessen die Kontrollen bei internationalen Adoptionen verbessern, um das Missbrauchsrisiko zu reduzieren. Über die von der Nationalratskommission eingereichte Motion entscheidet als Nächstes der Nationalrat. Dann wird vermutlich klarer sein, welche Richtung die Schweiz in Zukunft mit internationalen Adoptionen gehen wird.

ist freischaffende Journalistin in Winterthur. Sie ist fasziniert von Geschichten und Schicksalen von Menschen und erzählt diese am liebsten in packenden multimedialen Produktionen. Nebenbei interessiert sie sich für Fotografie, Reisen, Geschichte, Sprachen und Kulturen.