«Das Grösste, was wir jemals gemacht haben»
Ein Event mit unvorstellbaren Dimensionen: Der Eurovision Song Contest ist der grösste Musikwettbewerb der Welt, rund 170 Millionen Menschen verfolgen ihn live. In Basel stehen für sein Gelingen Hunderte im Einsatz. Drei Porträts.
Autorin: Ariela Dürrenberger (duerrari@students.zhaw.ch)
Titelbild: Mega-Event ESC: Sie sind die Heldinnen und Helden im Hintergrund. (Foto-Collage: A. Dürrenberger)
Beim Eurovision Song Contest dreht sich alles um die Künstlerinnen und Künstler aus den teilnehmenden Ländern. Hunderte Medienschaffende tummeln sich in der Stadt – alle hoffen auf Interviews mit den ESC-Stars. Dabei schnell vergessen gehen jene, die den Event überhaupt möglich machen: Tonprofis, freiwillige Helferinnen oder Fans, die für Stimmung sorgen. Helden im Hintergrund.
Roman Huber: «Am Ende muss diese Show laufen»
Alle sitzen einmal bei ihm auf der Couch: Bei Tontechniker Roman Huber im Viewing Room analysieren die ESC-Stars ihren Auftritt. Shows hat er schon viele gemacht, doch die Grösse dieses Events könne er kaum benennen: «Aber ich sehe ja, was hier an Technik herumsteht.» In der St. Jakobshalle sei alles mehrfach abgesichert – «zurecht», findet Huber. «Am Ende muss diese Show einfach laufen.»

Vier Wochen lang sieht Huber kaum Tageslicht. Sein Arbeitsplatz ist ein abgedunkelter Raum mit Laptops, Mischpulten und Sofas. Hier wird jeder geprobte Auftritt kritisch beäugt. Huber ist Bindeglied zwischen Technik und Künstlerinnen. «Es ist extrem emotional. Sie proben und sehen hier das, woran sie fast ein Jahr gearbeitet haben.»



Die Stars sehen bei ihm ihre Performance zum ersten Mal – oft wird schnell klar, ob am Sound noch etwas angepasst werden muss. Dann sind neben seinem Technikwissen auch Sozialkompetenz gefragt. «Es sind 37 Delegationen – 37 Kulturen, es ist krass wie unterschiedlich sich die Stars im Viewing Room verhalten», eins sei jedoch bei allen gleich: Die Nervosität.
«Für sie steht extrem viel auf dem Spiel, denn es ist nach wie vor ein Wettbewerb.» Der Druck, der auf den Künstlerinnen und Künstlern lastet, überträgt sich auch auf Hubers Arbeit: «Wir sind es ihnen schuldig, einen guten Job zu machen.»
Levin Geser: «Für mich war klar, wenn der ESC in die Schweiz kommt, darf ich mir das gönnen»
Levin Geser hat ein Ticket für jede Show. Seit er 13 ist, liebt der Zürcher Student den ESC. Für das Event wohnt er eine Woche auf einem Campingplatz in Möhlin (AG).

Beim Betreten des Campingplatzes weist im ersten Moment nichts darauf hin, dass sich hier ein Superfan des ESC einquartiert hat. Auf dem Weg zum weiss-grauen Wohnmobil von Geser hört man lediglich leise das Brummen einer Musikbox. Es läuft eine ESC-Playlist.
Geser steht eine straffe Woche bevor, er hat ein Ticket für jede Show und rundherum läuft ebenfalls viel: «Ich müsste mich fünfteilen», sagt er lachend. Trotzdem strahlt er, wenn er vom Trubel erzählt: «Es ist schwer in Worte zu fassen, wie gross das alles hier ist.»
Er weinte, als Nemo gewann
«Ich mochte schon immer Geografie, Länder und Flaggen», der ESC sei die perfekte Mischung zwischen diesen Interessen und Entertainment. Es gibt keinen Zeitpunkt, an dem ihn Neuigkeiten um den ESC nicht brennend interessieren. Umso grösser waren seine Emotionen beim Finale im letzten Jahr: «Ich musste extrem weinen, als Nemo gewann.»



Dank des Fanclubs bekam Geser für jede Show ein Ticket. Er entschied sich für die billigeren Pre-Shows. Geser bezahlte rund 220 Franken für die drei Shows, dazu 90 Franken für das Finale in der Arena Plus. Mit dem Campingplatz kostet ihn die Woche rund 500 Franken. «Für mich war klar: Das gönn ich mir – es ist ja auch ein bisschen wie Ferien.»
Cornelia Rutishauser: «Es ist eine Ehre, hier zu sein»
Cornelia Rutishauser hilft am ESC. Sie gehört zu den 700 Volunteers aus der ganzen Welt.

In der Messehalle 1 tummeln sich die Leute. Hier im Eurovision Village treffen unterschiedlichste Menschen aufeinander. Schaulustige Passanten, quirlig gekleidete Songcontest-Fans oder Familien, die sich das ESC-Dorf anschauen wollen. Mitten in dieser Menschenmenge blitzen immer wieder blaue T-Shirts hervor. Diese gehören zu den rund 700 Volunteers, die während des Musikwettbewerbs freiwillig mithelfen. Cornelia Rutishauser ist eine davon.
«Am Sonntag habe ich 35’000 Schritte gemacht», erzählt Rutishauser. Während des ESC hat sie unterschiedliche Aufgaben. Sie assistierte bei der Organisation der Eröffnungsfeier am Sonntag, verteilt in der St. Jakobshalle LED-Armbänder und macht Event-Umfragen an den verschiedenen Standorten.
«Man muss nicht immer etwas verdienen»
Zehn Tage lang arbeitet die 49-Jährige freiwillig am ESC. Hierfür hat sie sich extra Ferien genommen: «Ich bin jeden Tag 8 bis 12 Stunden im Einsatz.» Rund 7’000 Menschen, aus den verschiedensten Ländern, haben sich beworben, um am ESC mitzuhelfen. Die Gastgeberstadt Basel hat 700 davon ausgewählt. «Es ist auch eine Ehre, hier zu sein», sagt Rutishauser. «Schlussendlich finde ich es schön, dass ich etwas zurückgeben kann, dabei muss man nicht immer etwas verdienen.»
Im Alltag arbeitet Rutishauser als Nachhaltigkeitsberaterin in der Event- und Tourismusbranche. Ihre Aufgaben am ESC würden all ihre Interessen vereinen. «Ich konnte mir das nicht vorstellen, diese Bühne ist einfach fantastisch», sagt Rutishauser über die Show in der St. Jakobshalle. «Ich habe schon viele grosse Produktionen gesehen, aber das hier ist Next Level.»



Was den Eurovision Song Contest wirklich trägt, sind nicht nur die Stars auf der Bühne – sondern auch jene, die abseits davon Grosses leisten. Sie alle teilen eines, die Leidenschaft und die Motivation, beim Gelingen dieses Events mitzuhelfen. Inmitten von Kabeln, Fanmomenten und freiwilligem Einsatz entsteht das, was 170 Millionen Menschen weltweit begeistern kann: ein Event der Superlative: «Das Grösste, was wir jemals gemacht haben.»
Ein Event ausserordentlicher Grösse
Rund 170 Millionen Menschen verfolgten den Eurovision Song Contest 2025 live vor dem Fernseher. Zum Vergleich: In Basel leben rund 207’000 Menschen. Diese Gegenüberstellung verleiht der Dimension des Mega-Events besonderes Gewicht. Doch nicht nur auf den Bildschirmen, auch in der Stadt selbst war die Grösse des ESC in den vergangenen Tagen deutlich spürbar.
- Über 500’000 Leute besuchten während der Durchführung des Musikwettbewerbs im Mai die Stadt Basel
- Mehr als 700 freiwillige Helfende standen im Einsatz
- 37 Delegationen standen auf der Bühne in der St. Jakobshalle
- Trams und Busse fuhren rund um die Uhr
- Der ESC hatte ein Budget von 60 Millionen Franken
- 1’000 Medienschaffende aus jeglichen europäischen Ländern waren in der St. Jakobshalle akkreditiert
- Über 1’300 Polizistinnen und Polizisten aus der ganzen Schweiz und dem Umland standen im Einsatz
Finanzierung und Erwartungen
Über die tatsächlichen Kosten machten die Veranstalter an der Medienkonferenz am Montag nach dem Finale keine genauen Angaben. Klar ist: Der Kanton Basel-Stadt übernahm mit 35 Millionen Franken den grössten Teil der Finanzierung. Die SRG steuerte 20 Millionen Franken bei, während die Europäische Rundfunkunion (EBU) 6 Millionen Franken einbrachte.
Mit dem Grossanlass verband die Stadt auch wirtschaftliche Hoffnungen. Besonders die Gastro- und Tourismusbranche sollte nachhaltig profitieren. Ob diese Ziele erreicht wurden, sollen nun Nachhaltigkeits-Umfragen und eine umfassende Auswertung zeigen. Die grosse Abrechnung startet laut den Veranstaltern Mitte Juni.
Sicherheit im Fokus
Trotz des riesigen Andrangs verlief der ESC weitgehend störungsfrei, wie Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann an der Medienkonferenz betonte. Zwei unbewilligte Demonstrationen sorgten für Einsätze der Polizei, wobei jene am Finaltag besondere Aufmerksamkeit erforderte.
Rund 1’300 Polizistinnen und Polizisten aus der ganzen Schweiz und dem angrenzenden Ausland sorgten für die Sicherheit. Angesichts der erwarteten 15’000 potenziellen sexuellen Übergriffe – eine Zahl, die auf Erfahrungswerten ähnlicher Grossanlässe basierte – setzte die Stadt auf einen umfassenden Opferschutz. Laut der Basler Zeitung wurde während der gesamten ESC-Woche keine einzige Anzeige wegen sexueller Belästigung registriert – ein beachtlicher Erfolg für die Sicherheits- und Präventionsarbeit.
Stadtfest mit internationalem Flair
Um den Hunderttausenden Gästen auch ausserhalb der Liveshows ein unvergessliches Erlebnis zu bieten, verwandelte sich Basel in eine multikulturelle Festmeile. An mehreren Standorten fanden Konzerte und Shows statt – oft gleichzeitig – um die Besucherinnen und Besucher auf die Stadt zu verteilen und Wartezeiten zu minimieren.
ESC-Woche in Basel: Die grosse Übersicht
Ob Party, Konzerte oder grosse Show: Während der ESC-Woche läuft es in Basel rund.
Keine Zeit für grosse Recherche? In der Slideshow findet sich die Programmübersicht im Schnelldurchlauf.

Ariela Dürrenberger ist eine Basler Journalistin. Nebst ihrer Tätigkeit als Produzentin für die Nachrichtensendung Punkt6 auf Telebasel studiert sie Medienwissenschaften an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften.