Entschleunigt – mit papaya gegen Fast Fashion
Im Zürcher Kreis 5 betreiben Maya Suter und Csilla Horvath den kreislauffähigen Secondhandladen papaya STUDIO. Obwohl die Diskussion über Fast Fashion mittlerweile schon ein alter Hut ist, steigt der Konsum. Unwissen ist nicht das Problem.
Autorin: Claudia Wong Gutiérrez
Titelbild: Csilla Horvath und Maya Suter (rechts) führen ihren Secondhandladen mit viel Herzblut. Wenn sie eine Pause brauchen, setzen sie sich vor den Laden und geniessen die Aussicht auf die Josefswiese. (Bild: Claudia Wong Gutiérrez)
«Clothes deserve a second chance, not your ex» – ein klares Statement prangt in Grossbuchstaben am Schaufenster beim Eingang. Farbig, gemustert, glitzernd – die Einzelstücke hängen sorgfältig sortiert an den Stangen. Dazwischen: Rollwägen überhäuft mit Textil-Bergen. Auf den ersten Blick scheint das papaya STUDIO an der Josefstrasse wie ein herkömmlicher Secondhandladen. Doch hier wird auch geflickt, genäht, recycelt und über Konsum nachgedacht.
«Studio im Namen ist aus dem Sinn, dass wir verschiedenste Dinge anbieten wollen. Wir wollen wie eine Recyclingstation sein.», sagt eine der Gründerinnen Maya Suter. Kaputte Kleidung wird repariert oder zu einem neuen Teil umgewandelt – brauchbare, hochwertige Stücke werden wiederverkauft. In Zusammenarbeit mit «ademain» recyceln sie nicht mehr tragbare Baumwoll-Kleidungsstücke zu neuen Fasern. Die beiden Eigentümerinnen Maya Suter und Csilla Horvath haben den kreislauffähigen Secondhandladen anfangs Januar eröffnet.
«Genug für sechs Generationen»
Maya Suter hat nicht nur einen Master in Fashion Design, sondern auch viele Jahre in der Modewelt verbracht – bis ihr der Geduldsfaden riss: «Ich habe einfach lange in dieser Industrie gearbeitet und gemerkt, es muss eine andere Lösung geben. Eigentlich hat es so viele Kleider auf der Welt, es hat, glaube ich, für die nächsten sechs Generationen genug. Ich habe einfach Kollektion um Kollektion entwickelt, und habe mich immer mehr gefragt, für wen mache ich das genau? Es hat doch genug.»
«Altkleider, die nicht mehr gebraucht werden – wiederverkaufen. Das ist eigentlich die direkteste und die nachhaltigste Lösung, weil es eigentlich die wenigsten Ressourcen braucht» – Maya Suter
Dieses Problem geht weit über Zürich hinaus. Laut neuesten Schätzungen der Europäischen Umweltagentur (EEA) kauft jede Person in der EU durchschnittlich 19 Kilogramm Kleidung und Schuhe pro Jahr – so viel wie nie zuvor. In der Schweiz liegt der Verbrauch laut Bundeszahlen sogar bei 22 Kilogramm pro Kopf. Zudem nimmt die Qualität der erworbenen Fast Fashion stetig ab, was die Wiederverwertung erschwert. Rund 89 % der Kleidungsstücke enthalten synthetische Fasern wie Polyester, Nylon oder Acryl – die nicht biologisch abbaubar sind und sich nur schwer recyceln lassen.
Fast Fashion verursacht rund 10 % der weltweiten CO₂-Emissionen, verschlingt dabei Wasser, Land und Energie – zusätzlich spülen sie mit jeder Waschladung Mikroplastik in unsere Gewässer. Hinzu kommen der klimabelastende Transport und die prekären Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern. Kaum getragen, enden viele Stücke auf den Altkleiderbergen Europas – oder werden in den globalen Süden exportiert, etwa nach Ghana. Für Suter ist deshalb klar: «Altkleider, die nicht mehr gebraucht werden – wiederverkaufen. Das ist eigentlich die direkteste und die nachhaltigste Lösung, weil es eigentlich die wenigsten Ressourcen braucht.»
Aufwendig, wenig lukrativ, doch lohnenswert
Was als engagiertes Gegenmodell zur Wegwerfmode geschlüpft ist, entpuppt sich im Alltag als fordernder Balanceakt zwischen Anspruch, Aufwand und Realität. Kund*innen betreten hier den Laden mit dem Wunsch, die eigenen alten Kleider abzugeben – erwarten dabei gleichzeitig eine grosse, modische Auswahl zu kleinen Preisen. «Da stehst du also an beiden Enden, du willst ein gutes Angebot kuratieren, du willst gute Preise haben, aber du willst natürlich auch etwas zurückgeben, und das ist wirklich ein Spagat – jeden Tag.» sagt Suter zu den täglichen Herausforderungen. Die Woche wird aufgeteilt, finanziell liegt es nicht drin, gemeinsam durchgehend präsent zu sein – nebenbei haben beide Gründerinnen noch einen anderen Job. Einmal die Woche kommt eine Schneiderin und bearbeitet die Reparaturen.
Kreislaufwirtschaft ist aufwendig und oft wenig lukrativ. Dennoch ist es für Csilla Horvath die richtige Entscheidung gewesen: «Ich mache das aus Überzeugung, auch wenn es viel Zeit und alles ist, und wir nicht reich werden, es ist für mich etwas, was ich absolut dahinterstehe, gerne mache, gerne da bin, und es lohnt sich.»
Reparieren statt Wegwerfen – was Kleidung wirklich kostet
Fast Fashion hat verdrängt, dass die Herstellung von Kleidung Zeit, Ressourcen und vor allem Arbeit bedeutet. Gute Handarbeit hat seinen Preis. Nachhaltige Alternativen wie Secondhand, Reparatur und Upcycling sind aufwendig – aber genau deshalb wertvoll.
Ein Einblick in den Arbeitsalltag des papaya STUDIO in Zürich zeigt, was es bedeutet, Kleidung von Hand zu flicken, anzupassen oder ganz neu zu denken. Zwischen Kleiderstangen, Nähmaschine und Stoffresten wird deutlich: Faire Mode kann nicht in Massen produziert werden – denn sie kostet Zeit und Aufwand.
Kleider machen Leute
Trotz des wachsenden Bewusstseins für Klimaprobleme bleibt der Konsum von Fast Fashion hoch. Das liegt nicht primär an fehlender Information. «Im Gegensatz zu Wissen wird das Verhalten viel mehr über Motive oder Barrieren gesteuert.» erklärt Dr. Bettina Höchli, promovierte Ökonomin und Konsumforscherin. Sie sagt, dass Konsum nicht nur aus rationaler Überlegung erfolge, sondern auch dazu diene, Bedürfnisse wie Zugehörigkeit, Individualität, Status oder Belohnung zu erfüllen. Sie betont, dass nicht alle Menschen aus denselben Gründen handeln – Motive seien individuell. Gleiches gelte für die Barrieren: Wer vollständig auf Secondhand umsteigen wolle, müsse unter anderem Zeit investieren können.
Dr. Bettina Höchli
Dr. Bettina Höchli ist Verhaltenswissenschaftlerin an der Universität Bern. In ihrer Forschung untersucht sie, wie menschliches Verhalten durch gezielte Massnahmen verändert werden kann. Ihr Fokus liegt auf der praktischen Anwendung von Behavioral Insights, um nachhaltiges und gesundes Verhalten zu fördern.
Was Gottfried Kellers Seldwyler Schneidermeister schon wusste, gilt heute noch – Kleider machen Leute. «Dann gibt es vielleicht soziale Faktoren, die beeinflussen. Zum Beispiel, dass die sozialen Motive, wie Status, als wichtiger erachtet werden als die Nachhaltigkeitsmotive. Aber dass man sich gegen den sozialen Druck oder den sozialen Einfluss stellt, ist immer sehr schwierig oder herausfordernd.» so Höchli über die Dynamiken hinter den Kaufentscheidungen.
Für Maya Suter muss sich in der Kommunikation rund um «Repair-Teile» und Secondhand etwas verändern. Es solle nicht aus einem schlechten Gewissen geschehen, sondern gesellschaftlich akzeptiert sein. «Es muss cool sein. Ein schlechtes Gewissen ist nicht sexy. Es muss eine Mischung aus beidem sein.» Oder wie ganz subtil am Schaufenster steht: «Go second hand or go naked».
«Konsum ist nur eine temporäre Bedürfnisbefriedigung»
Laut Bundeszahlen liegt der aktuelle Verbrauch von Kleidung und Schuhen bei 22 Kilogramm pro Person. Obwohl viele Menschen die ökologischen und sozialen Folgen von Fast Fashion kennen – steigt der Konsum. Die Umwelt- und Wirtschaftspsychologin Nicole Haiderer erklärt mögliche Ursachen und welche Strategien helfen können.

Nicole Haiderer ist Umwelt- und Wirtschaftspsychologin mit Fokus auf nachhaltiges Verhalten, Konsumpsychologie und Innovation. Sie entwickelt und begleitet Projekte in den Bereichen Verhaltensänderung, Umweltkommunikation und nachhaltige Mobilität. Ihr besonderes Interesse gilt der Frage, wie durch Behavioral Insights langfristige und gesellschaftlich relevante Veränderungen angestossen werden können.
Frau Haiderer welche psychologischen und soziologischen Faktoren beeinflussen den anhaltenden hohen Kleidungskonsum?
Wir sind soziale Wesen – wenn unser Umfeld nachhaltiger einkauft, z. B. Secondhand oder den Konsum reduziert, wirkt sich das auf unser Verhalten aus. Gesellschaftliche Normen und Erwartungen können aber auch den Kleidungskonsum fördern. Der Wunsch, sozial akzeptiert zu werden und den Erwartungen der Gesellschaft zu entsprechen, kann zu einem erhöhten Konsum führen.
Aber auch individuelle Faktoren. Viele Menschen erleben einen Konflikt zwischen ihrem Umweltbewusstsein und ihrem Konsumverhalten. Um dieses Unbehagen – kognitive Dissonanz – zu reduzieren, werden die negativen Folgen von Fast Fashion verharmlost oder ausgeblendet.
Gibt es noch mehr Faktoren?
Ja. Soziale Medien, wie Instagram, TikTok etc. fördern ebenfalls den Vergleich mit anderen und den Wunsch, ein bestimmtes Image zu präsentieren. Dies kann zu einem erhöhten Konsum führen, um mit den dargestellten Lebensstilen Schritt zu halten. Zudem kann sich heutzutage niemand der Werbung entziehen – vor allem nicht, wer Social Media nutzt. Marketingstrategien versuchen Bedürfnisse zu erkennen oder zu kreieren, um den Kauf ihrer Produkte anzuregen – da diese ein vermeintliches Bedürfnis befriedigen.
Neben der Werbung haben Influencer einen grossen Einfluss auf unser Kaufverhalten. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt mit Kooperationen – bewerben Links, die ihnen beim Kauf eine Provision bescheren. Teilweise ist nicht klar, dass es sich um Werbung handelt.
Wo sehen Sie Ansatzpunkte, um klimabewusstes Konsumverhalten zu fördern?
Hier würde ich mir mehr soziale Verantwortung von Influencern mit grosser Reichweite wünschen. Teilweise geschieht ein Umdenken, dieses muss aber schneller passieren. Als soziale Wesen sollten wir aber auch hier die Gesellschaft in die Verantwortung nehmen. Wir als Einzelpersonen sind Teil eines Systems, in dessen Konsum eine zentrale Rolle spielt. Wir können dies auch ändern und selbst bestimmen, welche Werte uns wichtig sind und wie wir unser Leben gestalten wollen.
Können sie ein Beispiel machen?
Rückbesinnung auf Werte und Interessen abseits von Konsum – was ist mir wichtig? Was habe ich als Kind gerne getan? Was hat mir Spass gemacht? Das war bei mir Kunst. Ich habe es sehr gerne gemalt. Dann komm ein Stück weit zu dem zurück. Konsum ist nur eine temporäre Bedürfnisbefriedigung.
Wo kaufen Sie Kleidung ein?
Ich verlasse mich auf ausgewiesene Fachgeschäfte, kaufe überwiegend Secondhand ein oder gehe auf öffentliche Kleidertausche. Auch ein Kleidertausch mit Freund*innen – so hat die Kleidung auch einen persönlichen Wert.
Wie ist es möglich aus der Konsumspirale auszubrechen?
Bewusstsein schaffen und sich darüber informieren, was die Auswirkungen des Konsums auf die Umwelt und Gesellschaft sind. Und mal hinterfragen, wann und wieso kaufe ich? Welche Gefühle lösen diesen Konsum aus? Frage dich vor jedem Kauf, ob du dieses Produkt wirklich brauchst. Belohnungsmechanismen hinterfragen – denn das Belohnungssystem erzeugt nur ein kurzfristiges Hochgefühl.
Haben Sie Strategien, um sich nicht von kurzfristigen Belohnungsmechanismen oder Impulskäufen verleiten zu lassen?
Wenn man so Impulskäufe tätigt – Kleider in den Warenkorb legt, nicht bestellt und dann eine Woche, zwei Wochen später nochmal nachschaut und schaut, ob man überhaupt noch daran gedacht hat, weil oft denkt man gar nicht mehr dran. Und sich von Triggern entziehen. Wenn du weisst, du öffnest gern abends eine App von irgendeiner Marke oder Social Media beim Fernsehen. Deinstalliere die App. Du hast mehr Zeit, wenn du nicht ständig auf Social Media scrollst – gleichzeitig bist du weniger Werbung ausgesetzt.
Was wünschen Sie sich für eine langfristige Verhaltensänderung?
Von der Politik – transparente Ökolabels oder CO₂-Steuern auf Fast Fashion. Auch eine strukturelle Sensibilisierung und Bildung in diesem Bereich.

Studiert an der ZHAW in Winterthur Journalismus. Tendiert dazu beim Geschichten erzählen ganz weit ausholen zu wollen – jedes Detail zählt. Kann sich für (fast) jedes Thema begeistern.