Flag what? – Diese Frauen wollen an die Olympischen Spiele 2028
Sie trainieren mit vollem Einsatz, während hier kaum jemand weiss, was Flag Football eigentlich ist. Seit Oktober 2023 ist die Sportart olympisch. Für die Schweizer Nationalspielerin Amélie Stüssi ist es ein Traum, der in Erfüllung geht. Doch die Konkurrenz ist hart und nur sechs Teams dürfen 2028 an den Spielen in Los Angeles teilnehmen. Zu Besuch an einem Trainingstag.
Autorin: Jasmin Steiger
Titelbild: In der Schweiz ist es noch eine Nischensportart, aber ab 2028 wird Flag Football olympisch. (Bild: Jasmin Steiger, KI-generiert)
Es ist kalt auf dem Kunstrasen vom Heerenschürli in Zürich. Der Wind zieht über das Feld und aus einer Musikbox rappt Kendrick Lamar einen seiner Hits. Auf dem Nebenplatz spielen Kinder ein Fussballturnier und werden dabei von ihren Eltern angefeuert. Auf Platz zwei trainieren die Schweizer Flag-Football-Nationalspielerinnen mit ihren Coaches für die Europameisterschaft im September in Paris. Rund 25 Spielerinnen sprinten, bremsen und fangen oder werfen das braune Leder-Ei. Fünf gegen fünf, Flaggen am Gürtel, die von den Gegenspieler:innen gezogen werden müssen, um einen Spielzug zu beenden. Die kontaktarme Variante des American Football wurde in der Schweiz in den letzten Jahren immer bekannter. 2024 stieg die Anzahl der aktiven Mitglieder, laut dem schweizerischen American Football Verband (SAFV) auf über 1’400 Aktive. Das ist ein Zuwachs von 70 Prozent im Vergleich zu 2022. Die Frauen trainieren hier auf Englisch, denn die Spielerinnen sind aus der ganzen Schweiz angereist. Unter ihnen ist auch die 23-jährige Amélie Stüssi aus Winterthur.
Stüssi sprintet los, bremst hart ab und fängt den Football ohne Probleme. Seit 2022 spielt sie Flag. Vorher spielte sie lange Unihockey, bis ihre Knie nicht mehr mitmachten. Nach vier Operationen suchte sie sich einen neuen Weg: «Ich wollte unbedingt weiter Sport machen, aber nicht mehr mit so viel Körperkontakt.» Sie wollte einen Sport ohne Risiko. Gefunden hat sie einen, der alles fordert. Keine Tackles, dafür Tempo und Taktik. Im Video erzählen Amélie Stüssi und Head Coach, Ralph Trachsel, was den Sport ausmacht und von ihrem Traum bei den olympischen Spielen für die Schweiz einzulaufen.
Neben dem Sport studiert Stüssi Erziehungswissenschaften und Deutsch an der Universität in Zürich, aber in Teilzeit, denn der Sport nimmt einen grossen Platz in ihrem Leben ein. Zwölf Trainingseinheiten in der Woche, dazu Spiele, Athletiktraining und Teammeetings. Trotzdem: «Sport war für mich schon immer wichtig. Ich kann dabei abschalten, Energie rauslassen und mich auspowern.» 2024 wurde sie ins Nationalkader aufgenommen und durfte zur Weltmeisterschaft nach Finnland. «Das war die beste Erfahrung meines Lebens», sagt sie. «Wir haben uns alle gegenseitig so sehr angefeuert, das hat uns richtig zusammengeschweisst.»
Gespielt wird fünf gegen fünf und auf einem kleineren Feld. Der Fokus liegt auf Taktik, Schnelligkeit und Teamarbeit. «Es braucht Köpfchen», sagt Amélie, «und jede Art von Mensch findet hier seine Rolle. Egal ob schnell, kräftig oder strategisch.»
In den folgenden Infoboxen werden dir die Regeln und die Positionen im Flag Football kurz erklärt, damit du 2028 mitreden kannst.



Nur zwölf Spielerinnen dürfen an die EM in Paris
«Es ist ein sehr vielfältiger Sport. Man lernt nicht nur technisch viel, sondern auch über sich selbst», sagt Trachsel. Heute werden beim Training neue Spielzüge installiert. Erst trocken durchlaufen, dann in Bewegung gegen eine simulierte Defense und am Schluss in einem echten Spiel. Er beobachtet aufmerksam, gibt kurze Anweisungen und korrigiert, wenn nötig.
Im Training stehen Spielerinnen aus der ganzen Schweiz. In der Liga treten sie regelmässig gegeneinander an, in der Nationalmannschaft spielen sie gemeinsam. «Man kennt die anderen, man weiss, wie sie spielen und genau das macht es spannend. Ich lerne sehr viel, wenn ich im Verein gegen sie spiele und dann in der Nati mit ihnen trainiere», sagt Stüssi. Trotz des internen Konkurrenzkampfs herrscht auf dem Feld ein starker Zusammenhalt. «Wir pushen uns gegenseitig.» Aber vor der Europameisterschaft im September wird aussortiert, denn: Nur zwölf Spielerinnen dürfen mit nach Paris reisen. «Es wird einen Cut geben, aber noch sind wir alle ein Team», so Stüssi.
Grosse Ziele und Olympia-Träume
Für viele Spielerinnen ist die Nati eine Herzensangelegenheit: Die Möglichkeit, sich mit anderen Nationen zu messen. Die Chance, auf einem höheren Niveau zu spielen mit der Vision, sich für die Weltmeisterschaft zu qualifizieren. Und vielleicht sogar für Olympia.
Flag Football gibt es schon seit dem zweiten Weltkrieg. Was in einer US-Kaserne begann, ist nun seit Oktober 2023 olympisch. Scroll dich durch die Highlights des Sports der letzten achtzig Jahren.
Quellen: olympics.com, wikipedia.com, flagfootball.rock
Gestaltung: Jasmin Steiger, timeline.knightlab.com
«Als ich herausgefunden habe, dass Flag Football olympisch wird, bin ich ausgerastet und musste es sofort allen erzählen» sagt Stüssi. Die Chance ist klein, aber real: Nur sechs Teams werden an der Olympiade 2028 in Los Angeles teilnehmen, vielleicht nur eines pro Kontinent. Möglich ist auch, dass die sechs Erstrangierten der Weltmeisterschaft nach Kalifornien fahren. Wie die Qualifikation genau abläuft, ist noch offen.
Trachsel weiss: «Wir versuchen einfach, das bestmögliche Team zu stellen. Wenn wir zur Europameisterschaft fahren, dann mit dem Ziel, uns für die Weltmeisterschaft zu qualifizieren. Und wenn alles zusammenpasst, dann könnte das der Weg zu Olympia sein.»
Einfach wird es nicht. In der Schweiz kennt kaum jemand Flag Football. Mediale Aufmerksamkeit ist selten und die finanzielle Unterstützung gering. «Wir haben gelernt, aus wenig viel zu machen» sagt Trachsel.
Nach dem Training ist vor dem Spiel
Nachdem sich die Sonne am Nachmittag trotzdem noch gezeigt hat, wird das Training mit einem Flag-Football-Spiel beendet. Hier werden alle Spielzüge, die sie an diesem Tag gelernt haben, verfestigt. Stüssi ist in ihrem Element. Immer wieder ruft sie motivierend ihren Mitspielerinnen zu oder klatscht sich mit ihnen ab, wenn etwas gut gelaufen ist. Am Rand, der Sideline, steht Trachsel und ruft die Spielzüge als Codewörter ins Feld. Die Frauen verstehen sofort und stellen sich in der gewünschten Formatierung auf. Gegen siebzehn Uhr ist das Training nach einem langen Tag vorbei. Aber es ist noch nicht fertig mit Football, denn einige der Frauen machen sich auf den Weg nach Langenthal. Dort findet ein Tackle-Footballspiel statt – ein anderer Zweig des American Football, physischer und bekannter. Die Nati-Spielerinnen wollen zuschauen, Support zeigen und lernen. Der Sport ist ein Netzwerk, eine Gemeinschaft. Und auch wenn Flag Football in der Schweiz noch nicht so bekannt ist: Sie sind daran, dies zu verändern.
Flag-Football in der Schweiz
Flag Football ist in der Schweiz eine wachsende, aber noch weitgehend unbekannte Randsportart. In den letzten Jahren hat sich einiges getan: Mehr Teams, mehr Spieler:innen und ein stabilerer Ligabetrieb. Besonders in den letzten fünf Jahren ist die Flag-Football-Community spürbar gewachsen.
Ein Blick auf die Zahlen zeigt deutlich: Laut dem Schweizerischen American Football Verband (SAFV) ist die Zahl der aktiven Mitglieder 2024 um 70 Prozent im Vergleich zu 2022 gestiegen. Aktuell gibt es in der Schweiz sieben Flag Football-Ligen mit über 1’400 Aktiven.
Die Ligen in der Schweiz
Die beiden höchsten Ligen sind die NFFL (National Flag Football League) A und die NFFL W. Die NFFL A ist die leistungsstärkste Liga im Flag. Sie setzt sich aus neun Mannschaften zusammen, die schweizweit gegeneinander antreten. Ausserdem sind sie auch an internationalen Mannschaftswettkämpfen erfolgreich unterwegs. Die meisten Spieler der Herren-Nationalmannschaft spielen in dieser Liga.
Die NFFL W ist die Frauenliga und hat ebenfalls neun Mannschaften vertreten, aber nebst sechs Deutschschweizer Teams spielen auch zwei aus der Romandie und eines aus dem Tessin. Auch hier spielt ein Grossteil der Nationalspielerinnen. Die Liga gilt als bedeutende Plattform zur Weiterentwicklung und Talentförderung der Frauen. Spielerinnen aus unterschiedlichen Regionen kommen zusammen und sorgen für ein hohes Niveau, das sich auch international sehen lassen kann.
Ergänzt wird das Angebot durch Mixed-Ligen, bei denen Frauen und Männer gemeinsam spielen und trainieren, sowie Jugend-Ligen in den Altersklassen U11, U13 und U16.
Game Days: Wettkampf trifft Community
Gespielt wird an sogenannten Game Days, die zwischen April und Oktober stattfinden. Dabei treffen alle Teams einer Liga aufeinander und tragen an einem Tag mehrere Spiele aus. Diese Events verbinden sportlichen Wettkampf mit Community-Spirit. Man misst sich mit den Besten und lernt voneinander. Zuschauer:innen, Familie und Freunde sind oft dabei und sorgen für eine lebendige Atmosphäre. Viele Teams nutzen diese Tage nicht nur für den Wettkampf, sondern auch für den Austausch, das Netzwerken und die Nachwuchsgewinnung.
Neue Perspektiven durch internationale Turniere
Neben der nationalen Liga engagieren sich viele Teams auch international, wie bei Turnieren in Deutschland, Italien oder Österreich. Der Austausch mit Teams aus anderen Ländern wird in der Community geschätzt, denn er bringt neue Perspektiven, frische Spielzüge und stärkt den sportlichen Anspruch.
Aufgrund des steigenden Interesses am Sport, plant die SAFV, die Ligastruktur 2025 zu überarbeiten. Damit soll das Angebot ab 2026 noch breiter und zugänglicher gemacht werden. Ziel sei es, mehr Nachwuchspieler:innen zu integrieren, den Einstieg in den Sport zu erleichtern und die Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern. Flag Football bleibt in der Schweiz zwar (noch) ein Nischensport, aber die Dynamik ist da. Mit einer wachsenden Community, stärkeren Ligabetrieb und dem Blick auf die Olympischen Spiele 2028 wird der Sport zunehmend sichtbarer.
Von Zürich über Lausanne bis Lugano – Flag Football wird mittlerweile fast in der ganzen Schweiz gespielt. Auf dieser Karte findest du eine Übersicht aller Clubs im Land. Vielleicht gibt es auch ein Team in deiner Nähe?

Jasmin Steiger studiert Kommunikation an der ZHAW mit der Vertiefung Journalismus. Sie liebt es Menschen mit ihren Geschichten zu bewegen, besonders im Sport. Wenn sie nicht gerade an einer Reportage arbeitet, ist sie am liebsten am Spielfeldrand oder an einer Rennstrecke – immer bereit für die nächste Story.