Liebe liegt nicht in der Luft, sondern auf der Landkarte
Online-Dating wird in unserer Gesellschaft immer wichtiger. Doch nicht für alle macht es das Kennenlernen einfacher. Der Erfolg bei der Partner:innensuche wird oft durch den Wohnort bestimmt. So kann es auf dem Land schwieriger sein, die «wahre» Liebe zu finden.
Autor: Raffael Sigron
Titelbild: Immer mehr Paare lernen sich über Dating-Apps kennen. (Bild: Raffael Sigron)
Ein Swipe nach links. Noch einen nach links. Und noch einen. Einen nach rechts. Ein Match! Vielleicht ist dieses das eine Profil. Vielleicht ist die perfekte Beziehung nur noch einige Nachrichten entfernt. Oft jedoch ist das Gegenstück nicht nur Nachrichten, sondern auch dutzende Kilometer weit weg. Je grösser der Radius, desto grössere sind die Chancen auf einen Match. Das ist die Realität für viele Singles aus ländlichen Gebieten. Weg von den städtischen Zentren der Schweiz wie Zürich, Basel oder Genf ist es oft nicht so einfach, die passende Person zu finden.
Online Dating wird immer beliebter
Jede und jeder kennt zumindest ein Paar, das über Dating-Plattformen zusammengekommen ist. Das lässt vermuten, dass es heute weit verbreitet ist, sich so zu finden. Tatsächlich ist ein solcher Trend zu beobachten.
Laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) lernten sich schon im Jahr 2024 rund ein grosser Teil der neugebildeten Paare in der Schweiz über Dating-Plattformen oder über soziale Netzwerke kennen.

Früher lernten sich die Schweizer:innen über Bekannte, Schule, Beruf, Hobbys oder Vereine kennen. Heute entsteht jede vierte Beziehung über digitale Plattformen oder über die sozialen Medien. Im Vergleich mit Beziehungen, die vor mehr als 15 Jahren begonnen haben, ist der Anstieg enorm. Nun ist diese Art des Kennenlernens die zweithäufigste Art, einander kennenzulernen.
Um von den Plattformen tatsächlich jemanden zu treffen, muss man sich zuerst zeigen. Man könnte beinahe von präsentieren sprechen. Sei es über aussagekräftige Bilder, kurze Texte über die eigene Persönlichkeit oder allen möglichen äusseren Merkmalen, die man auf den Plattformen angeben kann. Doch genau das kann für einige zum Problem werden. Gerade in kleinen Dörfern auf dem Land kennen sich oft alle untereinander. So könnten alle sehen, wie man sich im Internet zeigt. Diese soziale Kontrolle kann Hemmungen verursachen, sich online so zu zeigen, wie man tatsächlich ist, um so auch passende Personen zu finden.
Wie es ist auf dem Land zu daten
Levin Geser ist im ländlichen Sarnen in Obwalden aufgewachsen. Der 25-Jährige hat dort seine ersten Schritte im Online-Dating gemacht. Heute wohnt er in Zürich und kennt die Eigenheiten beider Dating-Welten.

Dating-App anzutreffen (Bild: Levin Geser)
Audiobeitrag: Raffael Sigron
Weit und breit kein Match zu sehen – Queeres Dating auf dem Land
Oft wird erwähnt, dass zwischen drei und zehn Prozent der Menschen sich als homosexuell identifizieren würden. Daher könnte davon ausgegangen werden, dass es in der Schweiz ähnlich aussieht. In der heutigen Gesellschaft besteht eigentlich ein Konsens darüber, dass es keine Rolle mehr spielen sollte, wer wen liebt oder wer sich wie identifiziert. Doch gerade im Online-Dating auf dem Land spielt die sexuelle Orientierung noch eine grosse Rolle. Viele Profile zeigen User:innen, die dutzende Kilometer entfernt leben. Das sind denkbar nicht die besten Voraussetzungen für spontane Dates oder eine mögliche Beziehung.
Hinzu kommt, dass in Dörfern Themen wie Sexualitäten oder Identitäten, die nicht der Norm entsprechen, schnell zum Gesprächsthema der Dorfbewohner werden. Die Angst davor, dem Klatsch und Tratsch ausgesetzt zu sein, hindert queere Menschen oft daran, sich überhaupt ein Profil in einer Dating-App anzulegen. Wenn es dann doch dazu kommt, muss der Radius so weit eingestellt werden, dass genügend potenzielle Partner:innen überhaupt angezeigt werden.
Tinder ist nicht allein auf dem Markt
Zu den beliebtesten Dating-Apps in der Schweiz gehören neben Tinder auch Badoo, Lovoo, Bumble oder Hinge. Aber auch Parship oder Swissfriends gehören dazu, wie 20 Minuten im Januar berichtet. Nicht alle Apps funktionieren nach dem gleichen Prinzip. Doch bei allen ist das Ziel, Menschen zusammenzubringen. Dies, sowohl mehr als auch weniger oberflächlich.
Dieser Oberflächlichkeit etwas entgegensetzen möchte Laura Matter. Sie ist Mitgründerin der Dating-Plattform Noii. Laut Matter unterscheidet sich das 2022 gegründete Start-up deutlich von den klassischen Dating-Apps wie Tinder oder Hinge. Ursprünglich ging es um Blind-Dates, die via Video-Chats auf der Plattform gehalten wurden. Später kamen auch Offline-Events dazu. Diese bieten den User:innen an, sich im realen Leben zu treffen und Kontakte mit weiteren Singles zu knüpfen.
«Es wäre möglich, dass man plötzlich dem eigenen Nachbarn gegenübersitzt»
Morgens um acht geht es jeweils los. 15 Blinddates über Video-Chat. Alle drei Minuten wechseln die Partner:innen. Das erzählt Laura Matter. Sie ist Geschäftsführerin und Marketingverantwortliche des Zürcher Start-ups Noii. Das Verkuppeln ist nicht immer gleich einfach. So ist es auf dem Land oft schwieriger, eine Partnerin oder einen Partner zu finden. In diesem Interview erzählt Laura Matter über ihre Erfahrungen mit den Unterschieden von digitalem Dating in der Stadt.

Zürich. Das selbsternannte Ziel des Unternehmens
ist das Online-Dating echter und authentischer zu
gestalten. (Bild: Laura Matter)
Laura Matter, können Sie bei Noii unterschiedliche Verhaltensweisen in Bezug auf den Wohnort der Nutzer:innen beobachten?
Es gibt sicher Unterschiede! In der Stadt gibt es mehr Angebote als auf dem Land. Dort kennt man sich eher untereinander, was ein Vorteil, aber auch ein Nachteil sein kann. An unseren Online-Events sind die Unterschiede sichtbar. Auffallend ist zum Beispiel der Kleidungsstil oder die Ausdrucksweise bei Events auf dem Land im Gegensatz zur Stadt. Dafür sind die Ansprüche an den Anlass auf dem Land kleiner.
Sie sprechen Offline-Events auf dem Land an. Was für Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Wir haben auch schon Offline-Events in ländlicheren Regionen, wie zum Beispiel in St. Gallen, durchgeführt. Nur ist es dort bedeutend schwieriger, genügend Menschen zu finden, um einen Event zu füllen. Die Reaktionen auf dem Land waren anders als in der Stadt. Die Besuchenden waren oft mehr vom Konzept begeistert. Ich denke, das liegt daran, dass es auf dem Land deutlich weniger Angebote gibt, potenzielle Partner:innen kennenzulernen.
Zurück zum digitalen Speed-Dating. Achten Sie auf den Wohnort, und wird das beim Koordinieren der Video-Chats berücksichtigt?
Auf der Plattform können die Nutzer:innen selbst entscheiden, wie weit sie ihren Radius stecken wollen. Hier können wir beobachten, dass Menschen aus ländlichen Regionen häufig offener dafür sind, grössere Distanzen zu überwinden. Wir versuchen, solche Wünsche einzuhalten. Trotzdem können wir nicht immer gewährleisten, potenzielle Matches zu finden. Da dies im angegebenen Radius manchmal nicht möglich ist.
Neben dieser kleineren Auswahl spielt die soziale Kontrolle auf dem Land eine grosse Rolle. Was ist Ihre Einschätzung dazu?
Ich kann mir schon vorstellen, dass die soziale Kontrolle hineinspielt. Ich denke, dass es auf dem Land eine weitere Hürde ist, um sich überhaupt anzumelden. Und durch die fehlende Auswahl wäre es natürlich auch möglich, dass man plötzlich dem eigenen Nachbarn gegenübersitzt. Natürlich könnte das auch in der Stadt geschehen, aber ich denke, die Hemmung der Menschen ist deutlich kleiner.
Aus welchen Regionen stammen Ihre User:innen meist?
Die meisten Menschen sind mit 50 Prozent aus Zürich. Aus ländlichen Regionen stammen deutlich weniger, so kommen nur vier Prozent aus dem eher ländlichen Kanton St. Gallen.
Auch für queere Menschen kann es schwieriger sein, digital zu daten. Laut Ihrer Website ist Noii in der Community noch wenig bekannt. Was müsste geschehen, damit sich queere Menschen stärker angesprochen fühlen?
Das Problem liegt sicher auf unserer Seite. Wir als Noii müssten spezifischer auf diese Zielgruppe eingehen. Als kleines Unternehmen können wir uns momentan nur auf eine Zielgruppe konzentrieren, welche heteronormativ ist. Das, um dieser Gruppe genügend Aufmerksamkeit zu schenken. Man kann sich aber natürlich auch als queere Person anmelden, nur ist dann weniger Auswahl vorhanden.
Wie die Gesellschaft, so verändert sich auch das Online-Dating stetig. Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft des Datings in der Schweiz?
Ich hoffe, wir werden in der Schweiz offener, neue Dinge auszuprobieren. Vielleicht ist diese Verschlossenheit in der Natur der Schweiz verankert. Es wäre trotzdem schön, wenn wir wieder ein menschlicheres Gefühl zueinander bekommen würden. Durch die zahlreichen Profile auf den unterschiedlichen Dating-Apps bekommt man den Eindruck, dass das alles auch potenzielle Matches sind. Davon wird man aber oft enttäuscht. Dadurch ist die Erwartungshaltung der Menschen verrutscht. Es wäre also schön, wenn man wieder eine «natürliche» Auswahl für potenzielle Partner:innen stattfinden würde.
Viele haben genug von Dating-Apps
Immer mehr Menschen erleben eine sogenannte «Dating-Fatigue». Das ist eine Erschöpfung, die aus der Nutzung von Dating-Apps entsteht. Auch Laura Matter spricht oft darüber. Mittlerweile gibt es zahlreiche Studien zu dem Thema. Auch die deutschen Psychologinnen Johanna Degen und Andrea Kleeberg-Niepage der Universität Flensburg haben sich intensiv damit beschäftigt. In einer Studie, die dieses Jahr veröffentlicht wurde, beschreiben sie die Ursachen und Folgen der «Dating-Fatigue».
«Die Menschen sind müde vom Swipen!» – Laura Matter, Geschäftsleiterin von Noii
Dementsprechend sei unter anderem ein Grund für das Phänomen die ständige Reizüberflutung durch die schnellen und vielen Matches. Zudem sind diese Matches nicht verbindlich und die Unterhaltungen würden oft nicht lange andauern. Auch der grobe Umgangston sei nicht förderlich.
Folgen davon könnten laut der Studie ein Verlust des Selbstwertgefühls, emotionale Abstumpfung oder ein Gefühl von Austauschbarkeit und Sinnlosigkeit sein. Als mögliche Reaktionen der Nutzer:innen wurden ein kompletter Ausstieg aus dem Online-Dating oder eine Suche nach Alternativen, vor allem in sozialen Medien wie zum Beispiel Instagram, beschrieben.
Es gibt also auch Probleme, die Menschen aus der Stadt und vom Land gleichermassen betreffen. Solche Phänomene treten in letzter Zeit immer häufiger auf. Der Trend zeigt einen gesellschaftlichen Wandel auf und zeigt, wie sich unser Liebesleben mit den Generationen verändert.
Für Menschen auf dem Land ist es oft schwieriger, erfolgreich im Online-Dating zu sein. Das durch die soziale Kontrolle im Dorf oder die fehlende Auswahl auf den Plattformen. Doch nicht nur sie haben mit den Dating-Apps zu kämpfen. Die «Dating-Fatigue» kann uns alle betreffen. Wie es Matter in ihrem Interview sagt, wäre es schön, wenn wir in der Schweiz alle offener für neues werden würden. Unabhängig davon, wo man auf der Landkarte lebt oder wen man lieben will.

Ich studiere im vierten Semester Kommunikation mit der Fachrichtung Journalismus am IAM in Winterthur. Schon mein ganzes Leben begleiten mich Geschichten. Ich habe sie gehört, gelesen und gesehen. Jetzt ist es an der Zeit, die Geschichten zu erzählen und zu teilen.