Nie wieder Baustelle – der Baubranche fehlt die Jugend
Die GenZ hat keinen Bock aufs Handwerk. Studium statt schleppen. Den Branchen fehlt der Nachwuchs und den Betrieben fällt es immer schwerer, Lernende zu finden. Mangelt es einfach an der Priese Yaël Meier, um die Unternehmen jugendtauglich zu machen? Oder sind die Gründe doch vielschichtiger?
Autor: Nico Helbling
Bild: (Nico Helbling) Lernende fordern am 1. Mai höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.
Der Fachkräftemangel ist ein latentes Problem. Laut Bundesamt für Statistik (BFS) fiel es den Betrieben der Baubranche 2024 in einem Viertel der Fälle schwer, eine Stelle zu besetzen. Auch ich bin Teil dieses Problems. Nachdem ich 2022 meine Schreinerlehre abgeschlossen hatte, war mir klar: In dieser Branche kann und will ich nicht bleiben. Dies, obwohl mir die Arbeit gefiel. Und damit bin ich nicht allein

Der Anteil der schwer zu findenden Arbeitskräfte im Baugewerbe mit Berufslehre nimmt über die Jahre zu. (%)
«Will i dräckigi Hudle ha» – der Ruf eilt der Branche voraus
Gölä besingt in seinem Werk «Büetzer», wie er in der Beiz beäugt wird. Ob dies tatsächlich an den «dräckige Hudle» liegt, darüber lässt sich streiten. Und Gölä recht zu geben, fällt mir schwer. Der Song zeichnet das Bild eines Verstossenen, der in der Gesellschaft keinen Platz findet. Dies mag ein überzeichnetes Bild sein, ein Funke Wahrheit entspringt ihm aber doch.
Stellt man sich den Stereotypen eines Catcallers vor, so trägt dieser Blaumann oder Arbeitshose. Handwerker gelten als primitiv und sexistisch. Handwerker:innen sind ungebildet, haben stets ein Bier in der Hand, kommen immer zu spät und wenn mal eine:r, arbeitet, schauen fünf zu. Die meisten dieser Klischees sind falsch und veraltet. Auch der Gesellschaft mag dies bewusst sein. Dennoch sind sie teils nicht unbegründet.
The Kids Aren’t Alright – Lehrjahre sind keine Herrenjahre
Wer eine Lehre gemacht hat, kennt vermutlich den Spruch. Nicht nur das Image, sondern auch die Erfahrungen während der Ausbildung schrecken viele ab. Die Wortschöpfung «Stift» beschreibt übrigens einen Nagel ohne Kopf. Nomen est Omen? Ich bezweifle es. Während meiner Ausbildung war klar, putzen ist des Lehrlings Pflicht. Als ich kurz unaufmerksam war, bekam ich einen Holzklotz an den Schädel geworfen. Fast alle, die eine Lehre in der Baubranche gemacht haben, werden so eine Geschichte zum Besten geben können.
Scorpio – Die Lernenden weheren sich
Unter dem Namen Scorpio formiert sich Widerstand: Lernende aus allen Branchen machen am 1. Mai gemeinsam auf Missstände in ihrer Ausbildung aufmerksam.
Viele fühlen sich in den Betrieben allein gelassen, schlecht betreut oder als billige Arbeitskraft ausgenutzt.
Die Forderungen decken eine breite Palette ab: Von psychischer und körperlicher Unversehrtheit über faire Löhne und den Schutz vor berufsferner Arbeit bis hin zu klaren Regeln zur Kündigung.
Die fehlende Wertschätzung Lernenden gegenüber wurde auch von der Gewerkschaft Unia untersucht. Dabei befragte sie nicht nur Lernende aus dem Handwerk. Dennoch lassen sich aus den Zahlen aussagekräftige Schlüsse ziehen.
Fast jede:r dritte Lernende fühlte sich im Arbeitsumfeld schon einmal unwohl wegen Mobbing. Hinzu komme, dass manche Betriebe Lernende als günstige Arbeitskräfte nutzten. Laut Oliver Merz, Leiter der Abteilung Hochbau an der Baugewerblichen Berufsschule Zürich (BBZ), seien die Unterschiede in den Betrieben sehr gross. Vor allem, was die Entwicklung der Lehrlingsbetreuung betreffe.
Oliver Merz ist Berufsschullehrer und Leiter der Abteilung Hochbau an der Baugewerblichen Berufsschule Zürich (BBZ). An der Schnittstelle von Betrieb und Berufsbildung kennt er die Probleme der Betriebe und der Lernenden
Merz spricht auch das tiefe Lohnniveau an, welches der Beliebtheit der Branche schade. Der Medianlohn in der Baubranche liegt laut BFS bei 6410 Franken. Rund 400 Franken tiefer als der gesamtschweizerische Median.
Under Pressure – die Arbeit gibt den Takt vor
Hinzu kommt die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Matthias Ziegler macht eine Lehre als Sanitär. Seiner Meinung nach ist die Arbeitskultur im Handwerk oft von einem Leistungsgedanken geprägt. «80 Prozent zu arbeiten ist ein bisschen verpönt», sagt er. Das Leisten von Überstunden hingegen die Norm.
Fynn Martens und Matthias Ziegler – Zwei Werdegänge in entgegengesetzte Richtung. Vom Handwerk ins Studium – vom Studium ins Handwerk. Was sie an der Branche schätzen und was sich verändern muss.
Wer in der Baubranche arbeitet, tut dies meist zu 100 Prozent. Das zeigen die Zahlen des BFS. Während der Anteil der Vollzeit-Arbeitnehmenden der Gesamtbevölkerung bei 56 Prozent liegt, beträgt er im Handwerk rund 74 Prozent. Total arbeiten Handwerker:innen 238 Stunden mehr pro Jahr als die Schweizer Durchschnittsbürger:in. Doch nicht nur die hohe Arbeitslast sorgt für Frust. Auch das soziale Klima auf dem Bau ist vielerorts rau – besonders für Frauen.
This is a Mans World – Respekt am Arbeitsplatz bleibt eine Baustelle
Den Stempel des Sexisten aufgedrückt zu bekommen, ist unangenehm. Viel unangenehmer sind jedoch sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz. Die Unia befragte 2023 Handwerkerinnen. Mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen teilten mit, sie hätten bereits Mobbing und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Rund ein Viertel der befragten gab an, Opfer sexueller Gewalt gewesen zu sein.
Doch den Chef:innen scheint die Lage kaum bewusst. Eine Studie des Eidgenössischen Büros für Gleichstellung (EGB) schafft Fakten. Für 59 Prozent der Arbeitgebenden im Handwerk stelle Belästigung am Arbeitsplatz in ihren Betrieben kein Problem dar. Diese Zahl verdeutlicht nicht nur die Dimension des Problems, sondern zeigt auch, dass sexuelle Belästigung in der Branche nach wie vor ein Tabuthema ist.
Dies schreckt nicht nur Frauen ab. Der angehende Sanitär Matthias Ziegler erzählt von Kalendern, welche von Herstellern verschickt würden. Diese zeigten leicht bekleidete Frauen, welche sich in erotischen Posen räkelten. Zudem fielen immer noch sexistische Sprüche, insbesondere gegenüber weiblichen Mitlernenden. Dies dürfe so nicht sein.
Dies ist nur ein Teil der Probleme, weswegen Frauen das Baugewerbe verlassen. Doch sie waren auch für mich als Mann von Bedeutung.
Wind of Change – Der Wandel ist schleichend
Die Mischung aus Fakten und persönlichen Eindrücken zeichnet ein düsteres Bild. Doch das wird dem Handwerk nicht gerecht. Denn es tut sich etwas. Der Wandel verläuft zwar langsam, aber er ist spürbar. Einige Branchen gehen mutig voran.
Ein Beispiel: die Zunft der Maler:innen. Sie zeigt, dass Veränderung möglich ist – inzwischen ist fast die Hälfte der Berufstätigen weiblich.Auch andere setzen sich mit den überholten Strukturen auseinander, und es beginnt ein Umdenken. Laut Oliver Merz hat der Schreinermeisterverband (VSSM) eine Abteilung ins Leben gerufen, um die Grund- und Weiterbildung zu verbessern. Wohin die Reise geht, wird sich bei der Neuverhandlung des Landesmantelvertrags zeigen. Dort wird sich entscheiden, wie ernst es der Branche mit Reformen ist. Und sonst muss doch Yaël Meier ans Werk.

lebt in Zürich und beschäftigt sich mit gesellschaftlichen Themen, besonders mit Nischen und weniger beachteten Bereichen. Film nutzt er als Zugang zu sozialen und kulturellen Fragen. Er interessiert sich für Strukturen und Entwicklungen, die das Zusammenleben beeinflussen – bleibt dabei aber nie ganz ernst: Für einen guten Scherz ist er immer zu haben.