Trikafta: Wenn ein Medikament die Kindheit zurückbringt
Ein kleiner Junge und eine Krankheit, die man ihm nicht ansieht. Yannis lebt mit Cystischer Fibrose, einer unheilbaren Stoffwechselkrankheit. Seit Anfang 2025 ist in der Schweiz Trikafta auch für Kinder ab zwei Jahren zugelassen – ein Medikament, das nicht heilt, aber vieles leichter machen kann. Auch Yannis gehört zu den Kindern, die davon profitieren – und ein Stück Normalität zurückgewinnen.
Autorin: Tanja Vetsch
Titelbild: Ein routinierter Griff zur Medikamentenkapsel: Für Yannis ist es Teil seiner täglichen Routine – und der Grund, warum er fast wie jedes andere Kind leben kann. (Bild: Tanja Vetsch)
Ein oranger Kater schleicht durch den Garten. «Pspspsps», macht Yannis – dabei sitzt er mitten im Meerschweinchen-Gehege. Das Stroh raschelt unter seinen kleinen Füssen. «Meines heisst Lilly», sagt der fünfjährige. «Sie ist die schnellste, aber nicht so zutraulich.» Während die Meerschweinchen an den Halmen knabbern, grinst Yannis – es scheint ein ganz normaler Nachmittag zu sein.
Das ist es auch – beinahe. Nach dem Spielen im Garten gibt es Apfelschnitze, Ovomaltine-Kekse und Gespräche über die Projektwoche seines grossen Bruders Noah, der morgen mit der Schule in den Zürcher Zoo geht und sich dabei besonders auf die Reptilien freut. Nur ein kleiner Griff zur Tablettendose unterscheidet diesen Zvieri von vielen anderen Familien. Yannis nimmt Creon – ein Enzympräparat, das er für seine Verdauung braucht. Denn Yannis hat Cystische Fibrose.
Was ist Cystische Fibrose?
Die Cystische Fibrose (CF), auch Mukoviszidose genannt, ist eine angeborene Störung des Stoffwechsels. Die Erbkrankheit ist die häufigste Stoffwechselerkrankung in Westeuropa, in der Schweiz ist etwa jedes 2700. Neugeborene davon betroffen.
Bei CF-Betroffenen bilden verschiedene Drüsen und Zellen Sekrete und Flüssigkeiten, die entweder zu konzentriert oder zu zähflüssig sind. Von dieser Störung sind vor allem die Lunge und der Verdauungstrakt betroffen. In der Lunge entsteht zäher Schleim, der zu Husten, Bakterienbesiedlung und Entzündungsreaktionen führt. Im Verdauungstrakt können verschiedene Nährstoffe nicht richtig in den Körper aufgenommen werden. Daraus entstehen Bauchschmerzen, Durchfall und fehlende Gewichtszunahme.
CF ist eine chronisch verlaufende, fortschreitende Erkrankung, welche nicht geheilt, aber mit einer breiten Palette von Therapiemöglichkeiten behandelt werden kann. In der Schweiz leben ungefähr 1000 CF-Betroffene.
Quelle: Cystische Fibrose Schweiz (cfch.ch)
Er sieht nicht krank aus. Ist quirlig, frech, will wissen, ob Küchenwasser oder Gartenschlauchwasser besser für Pflanzen ist. Doch sein Körper ist ein Kämpfer – von Anfang an. Es ist ein stilles Geschenk – eines, das viel gekostet hat. Vor allem seine Mutter Monia Apfelthaler.
Fünf Gramm Hoffnung
Sie erinnert sich genau: Eine schöne Schwangerschaft. Eine Wassergeburt im Geburtshaus Delphys, «eine Traumgeburt». Und dann – plötzlich – das grosse Verstummen. Yannis trank nicht, schlief ununterbrochen, nahm nicht zu. Stillen wurde ihr untersagt, sie sollte Pulvermilch geben. Doch Monia kämpfte. Pumpte alle zwei Stunden Milch ab, reinigte die Maschine, weckte ihr Baby, fütterte es mit einer Pipette – und begann von vorn. Schlaf gab es kaum. Nach einer Woche hatte Yannis fünf Gramm zugenommen. Fünf Gramm Hoffnung.
Doch der Zustand besserte sich nicht. Die Hebamme schlug Alarm, der Kinderarzt überwies sie weiter. Ein Zimmer im Kinderspital war nicht frei, also ging es eine Woche ins Spital Triemli – und damit in eine Odyssee voller Tests und falscher Fährten. Jeden Abend stand die Chefärztin am Bett und sagte: «Wir finden nichts.» Doch Monia wusste, dass etwas nicht stimmte. «Sie haben ihn täglich gestochen, irgendwann sogar in den Kopf, weil keine Vene mehr ging.» Niemand sprach mit dem Kinderspital. Denn durch das Neugeborenen-Screening gab es dort bereits eine Prognose. Da es sich aber um noch keine definitive Diagnose handelte, wurde die Familie noch nicht informiert. «Wäre dort jemand ans Telefon gegangen und hätte gesagt, dass da ein Fall in Abklärung ist, hätten wir uns diese Tortur ersparen können.»
Kalorien und Kontrolle
Dann endlich: eine Erklärung. Und Medikamente, die halfen. Yannis begann zuzunehmen. Doch zu welchem Preis? Schlaf gab es nur mit Wecker – denn auch nachts musste er essen, um nicht wieder zu entgleiten. «Essen wurde zum Kampf», sagt Monia. Ein Druck, der nicht nur Yannis traf. Auch Bruder Noah spürte ihn. Der Ältere, der Funktionierende. Er, der oft zurückstecken musste, während sich alles um den kleinen Bruder drehte. «Er hat mich monatelang ignoriert», erinnert sich Monia. «Und ich konnte es ihm nicht verübeln.» Noah musste früh selbstständig werden. Musste verstehen, dass Mama stillt, pumpt, ernährt. Diese Abweisungen brachte er dann auch ihr entgegen. Die Zeiten, die bewusst für Noah eingeplant wurden, wollte er dann auch nicht. Als er sie nach sechs Monaten Ablehnung bat, beim Abendessen zu bleiben, flossen ihr die Tränen. «Endlich kam er zurück zu mir.» Auch jetzt spricht Monia mit Tränen in den Augen.
Zwei Kindheiten, eine Krankheit
Nicht alle haben das Glück, früh diagnostiziert zu werden. Ana Obradovic kennt den anderen Weg. Auch sie lebt mit cystischer Fibrose – der unheilbaren Stoffwechselkrankheit, die meist kurz nach der Geburt diagnostiziert wird. Bei ihr dauerte es jedoch bis zum achten Lebensjahr, bis die richtige Diagnose gestellt wurde. Bis dahin blieb die Krankheit unbehandelt – mit schwerwiegenden Folgen. Die Lungenschäden waren bereits weit fortgeschritten. Vor fünf Jahren rettete ihr eine Transplantation das Leben.
Anas Geschichte ist eine Geschichte der Hoffnung – auch wenn lange nichts danach aussah. Wie fühlt es sich an, wenn jeder Atemzug zur Qual wird? Und was verändert sich, wenn plötzlich wieder Luft da ist? Im Video erzählt Ana von ihrem Weg – und ihrem zweiten Leben.
«Ich habe die Verantwortung, ihn am Leben zu erhalten, bis er selbst entscheiden kann»
Monia apfelthaler
Monia entschied sich, mit der Krankheit nicht gegen, sondern mit dem Leben zu gehen. Sie wollte Yannis nicht isolieren, sondern ihm eine Kindheit schenken, die sich nicht wie eine Wartehalle anfühlt. Sie lernte andere CF-Betroffene kennen, hörte deren Geschichten. Und traf Entscheidungen. Für Yannis, aber auch für sich. «Ich habe die Verantwortung, ihn am Leben zu erhalten, bis er selbst entscheiden kann» sagt sie.
Seit Herbst 2024 nimmt Yannis Trikafta. Das Medikament wurde Anfang 2025 in der Schweiz für Kinder ab zwei Jahren zugelassen. Für Yannis kam es früher – im Rahmen eines Vorabprogramms. Seitdem ist vieles leichter. Das Inhalieren wurde von zwei bis dreimal, auf einmal täglich reduziert, seine Stabilität hat zugenommen. «Er lebt fast wie ein normales Kind», sagt Monia. Einmal am Tag Nasenspülung, zweimal täglich Trikafta, Creon zu den Mahlzeiten. Eine Routine, die inzwischen auch er grösstenteils versteht.
Hoffnungsträger Trikafta
Das Medikament Trikafta des US-Herstellers Vertex Pharmaceuticals ist der grosse Hoffnungsträger für die Betroffenen von cystischer Fibrose weltweit. Es ist der Höhepunkt einer Medikamentenentwicklung, die vor gut 20 Jahren begonnen hat. Trikafta ist seit 2025 in der Schweiz für die Behandlung bei Kindern ab zwei Jahren zugelassen. Die Kostenübernahme erfolgt durch die Invalidenversicherung (IV) und die Krankenkassen.
Trikafta ist ein CFTR-Modulator. CFTR-Modulatoren verbessern die Funktion des CFTR-Kanals. Dabei unterscheidet man Potentiatoren, die einen vorhandenen CFTR-Kanal aktivieren und Korrektoren, die die richtige Herstellung des CFTR-Kanals unterstützen. Die Dreifachtherapie kombiniert die Korrektoren Tezacaftor und Elexacaftor und den Potentiator Ivacaftor. Korrektoren unterstützen den richtigen Zusammenbau des Salzkanals in der Zelle und sorgen so dafür, dass es Salzkanäle an der Zelloberfläche gibt, auch wenn sie nicht optimal funktionieren. Potentiatoren können solche Salzkanäle aktivieren und die Funktion verbessern.
Eine ganze Reihe von ähnlichen Medikamenten ging Trikafta voraus. Bereits beim Vorgänger Orkambi machte man sich grosse Hoffnungen. Es hätte damals immerhin bei einem Teil der CF-Erkrankten eine gute Wirkung erzielen sollen. Trotz des hohen Preises waren sich Ärzteschaft und Patientenorganisationen einig, dass es aufgrund der positiven Studiendaten unbedingt rasch zugelassen und bezahlt werden sollte.
Doch schon bald zeigte sich: Orkambi wirkte nicht so gut wie erwartet. Und: Ein Teil der Patienten hatte starke Nebenwirkungen, musste das Medikament wieder absetzen. Die grossen Erwartungen konnten nicht eingelöst werden. Auch deshalb zögerte das Bundesamt für Gesundheit bei der Vergütung des geforderten Preises. Zähe und langwierige Preisverhandlungen mit dem Hersteller waren die Folge.
Quelle: Cystische Fibrose Schweiz (cfch.ch)
Die Krankheit, die bleibt – und das Medikament, das nicht allen hilft
Doch was bedeutet Trikafta über den Einzelfall hinaus? Und wie ist es mit einer unheilbaren Krankheit aufzuwachsen – in einer Welt, in der die Medizin grosse Fortschritte macht, aber nicht für alle gleichzeitig? Prof. Dr. Alexander Möller ist Abteilungsleiter für Pneumologie am Kinderspital Zürich. Er begleitet seit Jahren Kinder und Jugendliche mit zystischer Fibrose. Im Gespräch ordnet er ein, was die Diagnose CF für junge Patient:innen bedeutet, warum Trikafta als medizinischer Meilenstein gilt – und wieso der Preis des Medikaments Fragen aufwirft.

Leitender Arzt Pneumologie
Kinderspital Zürich
Doch Medikamente verändern nicht alles. Die ständige Balance zwischen Normalität und Kontrolle. Zwischen «Lass ihn spielen» und «Hat er Creon genommen?» Yannis trägt die Kapseln in einem kleinen Anhänger um den Hals, wenn er unterwegs ist. Wenn er sie vergisst, gibt es Bauchweh. Kein Drama – aber ein Warnsignal. Monia wünscht sich, dass er irgendwann selbst spürt, was er braucht. Dass aus der medizinischen Pflicht ein selbstbestimmtes Handeln wird. Noch aber ist sie da. Stellt das Inhaliergerät bereit. Lässt ihn samstags ausschlafen. Gibt ihm Raum, wo es möglich ist – und Grenzen, wo es nötig bleibt.
Bilder: Tanja Vetsch
Ganz normale Momente
Im Garten giesst Yannis wieder die Pflanzen. Diesmal mit Wasser aus der Küche. Lilly, sein Meerschweinchen, knabbert im Hintergrund. Der Nachmittag wirkt wie ein Gemälde aus Normalität. Nur wer genau hinschaut, sieht, dass unter der Oberfläche ein Leben geführt wird, das täglich neu balanciert werden muss – mit viel Liebe, klarem Blick und einem kleinen Medikament namens Trikafta, das die Welt für einen Fünfjährigen ein bisschen weiter gemacht hat.
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Ich verliere vieles – den Faden, meine Schlüssel, das Zeitgefühl. Eines sammle ich aber zuverlässig: Geschichten. Schon als Kind nannte mich meine Familie «Radio», weil ich Erlebtes in kleine Erzählungen verpackte. Heute schreibe ich sie auf. Wie das professionell gelingt, lerne im Kommunikations-Studium an der ZHAW in Winterthur. Besonders gerne stelle ich Dinge infrage – vor allem solche, die allzu selbstverständlich scheinen. Denn gute Geschichten hat jeder zu erzählen – sie zu entdecken, ist einzig eine Frage der Fragen.